Weihnachten auf See, Beitrag in der WELT Hamburg, 24.12.2010

Von Edgar S. Hasse

Es gibt wohl kaum einen Seemann, der Weihnachten nicht mit ein wenig Wehmut an Zuhause denkt. Auch in einer globalisierten Welt mit den modernen Kommunikationsmitteln bleibt in der Heiligen Nacht die Sehnsucht nach den Freunden, der Familie und Verwandten an Land. „Weihnachten liegen an Bord die Gefühle blank“, sagt Kapitän a.D. Peter-Michael Luserke aus Schleswig-Holstein.

Wie Weihnachten auf See wirklich ist, welche Geschichten sich um das Christfest in früheren Zeiten auf den Weltmeeren ranken – darüber gibt es nur wenig öffentlich zugängliches Dokumentationsmaterial. Der Direktor des Altonaer Museums, Professor Torkild Hinrichsen, wollte in den vergangenen Jahren eine Ausstellung über das Weihnachtsfest auf See organisieren. Doch mangels Masse musste er davon Abstand nehmen.

Doch in den wenigen publizierten Aufzeichnungen von norddeutschen Kapitänen wird fündig, wer nach interessanten Geschichten über Heiligabend auf dem Meer sucht. So heißt es bei Kurt Gerdau, dem 2007 in Tostedt verstorbenen Kapitän und Publizisten: „Weihnachten auf See ist immer auch ein bisschen Weihnachen zu Hause, das kann nicht anders sein, und doch ist es ein anderes Fest.“

Und Kapitän Luserke, der über seine Fahrenszeit das Buch „Dreizehn Weihnachten auf See“ geschrieben hat, sagt: „Natürlich wird auch an Bord gefeiert. Es gibt Braten und einen Tannenbaum. In früheren Zeiten wurden Telegramme verlesen, und wir hörten natürlich Norddeich Radio. Dann haben sich Kapitän und Offiziere möglichst früh zurückgezogen, damit die Mannschaft sich in Ruhe betrinken konnte. Am Heiligen Abend werden selbst die rauesten Seebären sentimental.“

Vor allem für die Passagierdampfer von Europa nach Amerika wurde die Transatlantik-Passage Mitte Dezember zu einer Wettfahrt gegen die Zeit. Wie Kurt Gerdau in seinem Buch „Weihnachten auf See“ schreibt, befand sich im Dezember 1912 der Dampfer „George Washington“ des Norddeutschen Lloyds auf seiner Weihnachtsreise von Bremerhaven nach New York. Hohe, steile Wellenberge Dutzende Meilen vor New York, Regen, Schnee und Hageln behinderten die Sicht erheblich. Würde der Passagierdampfer noch rechtzeitig vor Heiligabend in Big Apple eintreffen?

Plötzlich gab es einen Höllenlärm an Bord – das Schiff war mit einem unbeladenen Tanker kollidiert. Zum Glück hielt sich der Schaden in Grenzen. Doch nun stoppte dichter Nebel die Weiterfahrt. Prompt belagerten die gut betuchten Passagiere die Funkstation und drängten den Kapitän, dennoch Fahrt aufzunehmen. Kapitän Charles Pollack galt als Garant für einen pünktlichen Fahrplan. Nach dem Frühstück hielt es Pollack nicht länger aus. „Hiev die Anker! Beide Maschinen langsam voraus!“, befahl der gebürtige Sachse. Pünktlich vor dem Heiligen Abend traf der Lloyd-Dampfer aus Bremerhaven in New York ein.

Ein ganz spezieller Weihnachtsfrieden ereignete sich im Ersten Weltkrieg, 1914 vor der Küste Ostafrikas. Auf dem Kleinen Kreuzer „Königsberg“, in der Kaiserlichen Werft Wilhelmshaven gebaut, feierten die 300 Mann Besatzung gerade den Gottesdienst und sangen „Stille Nacht, heilige Nacht“, als an Bord ein ungewöhnlicher Funkspruch einging. Der Kommandant des in der Nähe liegenden englischen Kreuzers „Chatham“ hatte per Funk in deutscher Sprache der Besatzung der „Königsberg“ ein fröhliches Weihnachtsfest und ein glückliches neues Jahr gewünscht. Die Deutschen grüßten zurück – und beide Seiten ließen in dieser Nacht die Waffen schweigen. Erst Monate später erfolgte der Beschuss der „Königsberg“ durch andere Schiffe der Royal Navy.

Doch zunächst konnten die Soldaten auf dem Kleinen Kreuzer ausgiebig Weihnachten feiern, wobei ein künstlicher Baum aus Strohhalmen und Krankenakten-Papier die übliche Fichte ersetzen musste. „Mit einem dreifachen Hipphipphurra auf den Kaiser schloss der Kommandant seine Weihnachtsansprache, die durch den ungewöhnlichen Funkspruch des gefechtsbereiten Gegners in die Seekriegsgeschichte eingegangen ist“, heißt es.

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