Archiv für den Monat: Mai 2011

EHEC – „Eine Epidemie dieser Art hatten wir noch nie in Deutschland“

Mein Interview mit Prof. Friedrich Hagenmüller, Chefarzt in der Asklepios Klinik Altona, einem der führenden Gastroenterologen in Deutschland, in der WELT am SONNTAG, 29. Mai 2011

Von Edgar S. Hasse

WELT am SONNTAG: Professor Hagenmüller, was haben Sie gedacht, als spanische Gurken als EHEC-Infektionsquelle bekannt wurden?

Friedrich Hagenmüller: Wir waren alle erleichtert. Nun ist die Chance groß, die Epidemie in den Griff zu bekommen.

WELT am SONNTAG: Waren die Ärzte anfangs überrascht vom Ausmaß der Symptomatik?

Friedrich Hagenmüller: Wir sind Überraschungen gewöhnt. Mal ist es die Schweinegrippe, mal Durchfall durch Noro-Virus. Es gibt immer wieder Wellen von Infektionskrankheiten. In einem Gastroenterologen-Team ist EHEC natürlich bekannt. Aber eine Epidemie dieser Art und dieses Ausmaßes haben wir noch nie in Deutschland erlebt.

WELT am SONNTAG: Noch nie?

Friedrich Hagenmüller: Das ist eine erstmalige Epidemie dieser Art. Erregertyp, Häufigkeit, Symptome und Verlauf unterscheiden sich von früheren Durchfallausbrüchen. Überrascht waren wir anfangs von der Vielfältigkeit der Verläufe. Die Medizin bemüht sich sehr darum, die Maßnahmen an wissenschaftlich Bewiesenem zu orientieren. In der aktuellen Situation ist die Effektivität vieler therapeutischer Konzepte nicht gesichert; jetzt zählen Erfahrung, Plausibilität und manchmal Intuition.

WELT am SONNTAG: Was macht das EHEC-Bakterium so gefährlich?

Friedrich Hagenmüller: Die Betroffenen erschrecken angesichts ihrer blutigen Durchfälle und oft sehr heftigen Bauchkämpfe. Sie sind zusätzlich höchst beunruhigt durch die Medienberichte über die ersten Todesfälle.

Friedrich Hagenmüller: Der Keim ist eine Untergruppe der EHEC-Bakterien, die bisher solche großen Epidemien noch nie verursacht hat. Wir haben aus dem jetzigen Ereignis gelernt, dass dieser Keim gefährlicher ist als die früher beschriebenen Erreger.

WELT am SONNTAG: Zumal die Folgeschäden so gravierend sind….

Friedrich Hagenmüller: Komplikationen können im Verlauf der Erkrankung in Form eines sog. HUS (= hämolytisch urämisches Syndrom) auftreten: Nieren, Blutgefäße, Nervensystem, Muskulatur, Leber – prinzipiell alle Organe, einzeln oder in Kombination – können dabei Schaden nehmen. Diese Entwicklung tritt bei gut 40 Prozent unserer Patienten auf, während in der Literatur von früher beschriebenen Epidemien von zehn bis 15 Prozent die Rede ist. Das zeigt, dass dieser Keim besonders aggressiv und gefährlicher als seine Vorgänger ist.

WELT am SONNTAG: Wie ist es dazu gekommen?

Friedrich Hagenmüller: Es treten Selektionsprozesse und Mutationen der Mikroben auf. Ihre Überlebensstrategie zielt darauf, Terrain zu erobern, sich zu vermehren. Mikroben sind da sehr einfallsreich. Sie entwickeln zum Teil Widerstandskraft gegenüber Antibiotika.

WELT am SONNTAG: Geht von den Mikroben auch künftig eine erhebliche Gefahr aus?

Friedrich Hagenmüller: Die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sehen immer mehr Probleme mit Keimen, die resistent gegen Antibiotika sind. Diese Mikororganismen „überfallen“ sozusagen die Menschen mit geschwächter Abwehrkraft, also Alte und Kranke. Dieses Problem wird sicher noch weiter zunehmen.

WELT am SONNTAG: Warum?

Friedrich Hagenmüller: Weil wir mit der zunehmenden Alterung der Bevölkerung immer mehr abwehrschwache Menschen haben. Weil wir auch chronisch oder schwer kranke Menschen immer länger am Leben halten können. Denken Sie an die stetige Zunahme von Übergewicht und Diabetes, an Menschen mit chronischen Leberkrankheiten, an Menschen mit einer HIV-Infektion, an Rheuma-Patienten, die Medikamente brauchen, die das Immunsystem schwächen.

WELT am SONNTAG: Wie gefährlich ist die Massenproduktion von Nahrungsmitteln für die Gesundheit?

Friedrich Hagenmüller: Wenn verunreinigte Ware aus einer Massenproduktion den Markt überschwemmt, werden mehr Menschen gefährdet als von kleinen Lieferanten. Hygienische Qualität wird von allen Nahungsmittelproduzenten erwartet, Massenproduktionen bedürfen aber ganz besonderer Sorgfalt.

WELT am SONNTAG: Reichen die Kontrollen aus?

Friedrich Hagenmüller: Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder Misslichkeiten durch die Verunreinigung von Nahrungsmitteln erlebt. Qualitätskontrollen sind ebenso notwendig wie eine internationale Abstimmung der Maßnahmen, weil Nahrungsmitteltransporte viele Grenzen überschreiten. Der Weg von der Saat und Pflege über Ernte, Transport, Weiterverarbeitung und Lagerung bis auf den Teller der Verbraucher ist lang; Verunreinigungen können sich auf jeder Strecke dieses Wegs einschleichen.

WELT am SONNTAG: Einige Ihrer Kollegen haben öffentlich davon gesprochen, dass mit Toten bei dieser Epidemie zu rechnen ist. War das ethisch vertretbar?

Friedrich Hagenmüller: Leider hat sich diese Vorhersage inzwischen bewahrheitet. Ich sehe keinen Grund, der Öffentlichkeit diese Realität zu verschweigen. Diese Information wird auch das Verständnis für Präventionsmaßnahmen unterstützen.

WELT am SONNTAG: Was wird die nächste Woche für die Patienten bringen?

Friedrich Hagenmüller: Ich hoffe, dass der Gipfel der Epidemie erreicht ist. Die Identifikation der Infektionsquelle wird das Niederschlagen der Epidemie entscheidend erleichtern. Selbst wenn keine Neu-Infektionen mehr auftreten, werden sich die Krankenhäuser und niedergelassenen Ärzte noch mindestens vier Wochen sehr intensiv um die Erkrankten bemühen müssen. Die Verläufe der Erkrankung sind langwieriger und komplizierter als zum Beispiel bei Salmonellen- oder Norovirus-Erkrankungen. Die Krankheitserscheinungen sind äußerst vielgestaltig und die Prognose oft schwer einzuschätzen. Von 50 medizinisch gesicherten EHEC-Fällen in unserer Klinik leiden 15 an einem besonders schweren Verlauf.

Tödliche Darmkeime kommen aus spanischen Salatgurken!

DPA-Eilmeldung: 26. Mai 2011:

Hamburger Hygiene-Institut: Salatgurken aus Spanien EHEC-Träger

Das Hamburger Hygiene-Institut hat Salatgurken aus Spanien als Träger der gefährlichen EHEC-Erreger identifiziert. Das teilte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) auf einer Pressekonferenz in Hamburg mit.

Kommt der tödliche Darmkeim aus den Salatbars?

dpa meldet, 25. Mai 2011:

Salatbars möglicherweise Quelle für aggressiven EHEC-Keim

Hamburg (dpa) – Als Quelle für den aggressiven Darmkeim EHEC gehen einige Experten derzeit von vorportionierten Salaten aus. „Im Moment sieht es so aus, als wenn Salatbars, also vorbereitete Salatteile eine Rolle spielen“, sagte die ärztliche Leiterin des Großlabors Medilys der Asklepios-Kliniken in Hamburg, Susanne Huggett, am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin. Die Untersuchungen seien aber noch nicht abgeschlossen. „Es wird aber mit Hochdruck daran gearbeitet.“ Der lebensgefährliche EHEC-Erreger, der mit Durchfall, Erbrechen und Übelkeit einher geht. Eine 83-Jährige starb beim aktuellen Krankheitsausbruch nachweislich durch die Infektion. Derzeit gibt es bundesweit mehr als 460 mögliche Fälle. #

EHEC-Gefahr: Tödliche Bakterien im rohen Gemüse?

Quelle:

Mein Beitrag in der WELT und WELT Online, 24.5.2011

Von Edgar S. Hasse

Die blutigen und lebensbedrohlichen Durchfallerkrankungen breiten sich in Hamburg weiter aus. Am Montag Mittag meldete die Gesundheitsbehörde 40 Patienten, die stationär behandelt werden müssen und teilweise in Lebensgefahr schweben. Die Asklepios-Kliniken korrigierten die Zahl am Nachmittag auf inzwischen 50 Fälle. Die ärztliche Leiterin des Asklepios Großlabors Medilys, Susanne Huggett, sagte dazu: „Die Labordiagnostik dauert rund 36 Stunden. Deshalb gibt es gegenwärtig viele Verdachtsfälle, aber noch kein verlässliches Bild der tatsächlichen Gesamtlage.“

Foto: Infografik WELT ONLINE Viren sind keine Lebewesen. Doch sie können die Zellen von Lebewesen dazu zwingen, sich von ihnen gemäß einer „Bauanleitung“ kopieren zu lassen. Viren sind nur 15 bis 400 millionstel Millimeter groß.

 

Die Hamburger Patienten im Alter von neun bis 81 Jahren werden in Krankenhäusern der Hansestadt behandelt, 27 von ihnen im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Ihr Gesundheitszustand sei teilweise kritisch, hieß es in einer Mitteilung der Gesundheitsbehörde. „Die Lage ist weiter ernst“, sagte Behördensprecher Rico Schmidt. Man habe es mit einer ungewöhnlichen Ausbreitung des Bakteriums zu tun. Derzeit sei ein Team des Berliner Robert-Koch-Instituts vor Ort, um sich ein genaues Bild von der Lage in Hamburg zu verschaffen und nach der Infektionsquelle zu suchen.

Die meisten HUS-Patienten werden mit einer Dialyse behandelt. „Wenn die Erkrankten zeitnah eine solche Blutwäsche erhalten, sind lebensbedrohliche Komplikationen wie Hirnödeme und Schäden wie das bleibende Nierenversagen abwendbar“, sagte eine Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (Nierenheilkunde).

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Medizin Krankheitserreger
Foto: Okapia Immer mehr Keime zeigen Resistenzen gegen Antibiotika. Bordetella pertussis bacteria verursachen Keuchhusten. Die Mikroaufnahme zeigt die Bakterien in einer Vergrößerung von 40.000:1.

 

Nach Möglichkeit sollte Obst und Gemüse abgekocht und Rindfleisch nicht roh verzehrt werden. Das Robert-Koch-Institut rät sogar, alle Lebensmittel vor dem Verzehr ausreichend zu erhitzen – also zehn Minuten lang bei mindestens 70 Grad. Patienten mit blutigen und wässrigen Durchfällen, Übelkeit, Erbrechen und zunehmenden Bauchschmerzen sollten einen Arzt oder ein Krankenhaus aufsuchen. Nach Angaben der Behörde wurden die niedergelassenen Ärzte und die Krankenhäuser über die Lage informiert. Das Enterohämorrhagische Escherichia coli-Bakterium (EHEC) befindet sich im Kot von Nutztieren wie Rindern, Schafen und Ziegen. Der Erreger kann sowohl bei direktem Kontakt mit den Tieren, aber auch durch verunreinigte Lebensmittel übertragen werden.

Immer mehr Schüler nehmen Ritalin

Mein Beitrag in der WELT, Printausgabe, 10. Mai 2011

Edgar S. Hasse
Ritalin,  die Pille gegen das Zappelphilipp-Syndrom, wird Hamburger Kindern und Jugendlichen immer häufiger verschrieben. Wie eine am Montag veröffentlichte Erhebung der Techniker Krankenkasse (TK) ergab, bekamen im Jahr 2009 rund 33 von 1000 Hamburger TK-versicherten Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 18 Jahren das umstrittene Medikament. Das sei eine Steigerung um knapp 14 Prozent im Vergleich zu 2006, teilte TK-Referent John Hufert auf „Welt“-Anfrage mit. Insgesamt liegt die Zahl der jungen Ritalin-Patienten in Hamburg um rund 22 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt. Bundesweit mussten im Jahr 2009 rund 27 von 1000 jungen TK-Versicherten das Arzneimittel Ritalin nehmen.
Wer am Zappelphilipp-Syndrom AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) leidet, hat Probleme mit der Konzentration. Die Aufmerksamkeit springt von einem zum nächsten Gedanken. Lesen, Lernen und Arbeiten fallen schwer. Rund 3,5 Millionen Erwachsene und mindestens 600000 Kinder leiden bundesweit an diesem Syndrom. Als erste Reaktion auf die TK-Studie sagte die schulpolitische Sprecherin der GAL-Fraktion, Stefanie von Berg, der „Welt“, sie betrachte den gesteigerten Einsatz von Ritalin mit Sorge, ohne allerdings dabei bewerten zu können, ob es sich immer um eine medizinische Notwendigkeit handele.
„Die Schulbehörde sollte keine Empfehlungen an die Schulen und Lehrkräfte geben, wie diese sich im Falle von Ritalin zu verhalten haben.“ Vielmehr müsse sie dafür Sorge tragen, dass die Schulen Unterstützung im Umgang mit Schülerinnen und Schülern erhalten, deren Verhalten – in welcher Form auch immer – auffällig ist. „Dazu können Beratungen im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung stattfinden.“ Darüber hinaus erteilt die GAL-Fraktion Plänen eine Absage, den Ritalin-Konsum in der Schülerakte zu vermerken. Die Verabreichung des Mittels sei eine höchst individuelle Entscheidung, die allein den Eltern obliege.

Dazu auch dpa, 09.05.2011
Immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland nehmen der Techniker Krankenkasse (TK) zufolge Medikamente gegen das sogenannte Zappelphilippsyndrom (ADHS). Im Jahr 2009 bekamen rund 27 von 1000 bei der Kasse versicherte Sechs- bis Achtzehnjährige das Arzneimittel Ritalin (Methylphenidat), wie die TK am Montag in Hamburg mitteilte. Im Vergleich zu 2006 – damals waren es 20 von 1000 – sei dies eine Steigerung von 32 Prozent. Doch nicht jedes lebhafte oder auffällige Kind habe ADHS, also eine Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, und brauche Tabletten.
Zahlen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zeigten, dass die an Apotheken gelieferte Menge des Wirkstoffs von
2006 bis 2009 um 42 Prozent gestiegen sei – auf 1735 Kilogramm. „Das entspricht dem Gewicht eines kleinen Geländewagens“, hieß es. Im Jahr 2006 waren es noch 1221 Kilo. Und nach den TK-Daten lag die durchschnittlich verschriebene Menge Methylphenidat pro jungem Patienten 2006 bei 195 sogenannten Tagesdosierungen, 2009 bei 213.
Mit der Diagnose und einer Ritalin-Behandlung müsse man sehr vorsichtig sein, warnte die Kasse. „Denn die Langzeitfolgen von Ritalin und Co. sind noch nicht erforscht und die Nebenwirkungen sehr umstritten.“ So könne Methylphenidat bei falscher Dosierung Angstzustände oder Appetitlosigkeit auslösen. Auch auf das Wachstum der Kinder könne das Medikament Auswirkungen haben.
„Ein speziell ausgebildeter Arzt sollte mit Eltern, Lehrern und anderen Betreuungspersonen klären, ob die Symptome der kleinen Patienten nicht doch andere Ursachen haben“, erklärte TK-Apothekerin Edda Würdemann – und damit verhindern, dass Ritalin voreilig verschrieben wird. Bei sehr verhaltensauffälligen Kindern allerdings seien Präparate mit Methylphenidat „das Mittel der Wahl“, sagte Würdemann. „Nur so können die Symptome schnell gelindert werden, so dass eine begleitende Verhaltens- oder Psychotherapie überhaupt erst möglich gemacht wird.“ Ritalin könne aber eine ganzheitliche Therapie nicht ersetzen: „Die betroffenen Kinder müssen lernen, langfristig mit ihren Symptomen umzugehen – auch ohne Medikamente.“