Immer mehr Schüler nehmen Ritalin

Mein Beitrag in der WELT, Printausgabe, 10. Mai 2011

Edgar S. Hasse
Ritalin,  die Pille gegen das Zappelphilipp-Syndrom, wird Hamburger Kindern und Jugendlichen immer häufiger verschrieben. Wie eine am Montag veröffentlichte Erhebung der Techniker Krankenkasse (TK) ergab, bekamen im Jahr 2009 rund 33 von 1000 Hamburger TK-versicherten Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 18 Jahren das umstrittene Medikament. Das sei eine Steigerung um knapp 14 Prozent im Vergleich zu 2006, teilte TK-Referent John Hufert auf „Welt“-Anfrage mit. Insgesamt liegt die Zahl der jungen Ritalin-Patienten in Hamburg um rund 22 Prozent höher als im Bundesdurchschnitt. Bundesweit mussten im Jahr 2009 rund 27 von 1000 jungen TK-Versicherten das Arzneimittel Ritalin nehmen.
Wer am Zappelphilipp-Syndrom AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) leidet, hat Probleme mit der Konzentration. Die Aufmerksamkeit springt von einem zum nächsten Gedanken. Lesen, Lernen und Arbeiten fallen schwer. Rund 3,5 Millionen Erwachsene und mindestens 600000 Kinder leiden bundesweit an diesem Syndrom. Als erste Reaktion auf die TK-Studie sagte die schulpolitische Sprecherin der GAL-Fraktion, Stefanie von Berg, der „Welt“, sie betrachte den gesteigerten Einsatz von Ritalin mit Sorge, ohne allerdings dabei bewerten zu können, ob es sich immer um eine medizinische Notwendigkeit handele.
„Die Schulbehörde sollte keine Empfehlungen an die Schulen und Lehrkräfte geben, wie diese sich im Falle von Ritalin zu verhalten haben.“ Vielmehr müsse sie dafür Sorge tragen, dass die Schulen Unterstützung im Umgang mit Schülerinnen und Schülern erhalten, deren Verhalten – in welcher Form auch immer – auffällig ist. „Dazu können Beratungen im Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung stattfinden.“ Darüber hinaus erteilt die GAL-Fraktion Plänen eine Absage, den Ritalin-Konsum in der Schülerakte zu vermerken. Die Verabreichung des Mittels sei eine höchst individuelle Entscheidung, die allein den Eltern obliege.

Dazu auch dpa, 09.05.2011
Immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland nehmen der Techniker Krankenkasse (TK) zufolge Medikamente gegen das sogenannte Zappelphilippsyndrom (ADHS). Im Jahr 2009 bekamen rund 27 von 1000 bei der Kasse versicherte Sechs- bis Achtzehnjährige das Arzneimittel Ritalin (Methylphenidat), wie die TK am Montag in Hamburg mitteilte. Im Vergleich zu 2006 – damals waren es 20 von 1000 – sei dies eine Steigerung von 32 Prozent. Doch nicht jedes lebhafte oder auffällige Kind habe ADHS, also eine Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, und brauche Tabletten.
Zahlen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zeigten, dass die an Apotheken gelieferte Menge des Wirkstoffs von
2006 bis 2009 um 42 Prozent gestiegen sei – auf 1735 Kilogramm. „Das entspricht dem Gewicht eines kleinen Geländewagens“, hieß es. Im Jahr 2006 waren es noch 1221 Kilo. Und nach den TK-Daten lag die durchschnittlich verschriebene Menge Methylphenidat pro jungem Patienten 2006 bei 195 sogenannten Tagesdosierungen, 2009 bei 213.
Mit der Diagnose und einer Ritalin-Behandlung müsse man sehr vorsichtig sein, warnte die Kasse. „Denn die Langzeitfolgen von Ritalin und Co. sind noch nicht erforscht und die Nebenwirkungen sehr umstritten.“ So könne Methylphenidat bei falscher Dosierung Angstzustände oder Appetitlosigkeit auslösen. Auch auf das Wachstum der Kinder könne das Medikament Auswirkungen haben.
„Ein speziell ausgebildeter Arzt sollte mit Eltern, Lehrern und anderen Betreuungspersonen klären, ob die Symptome der kleinen Patienten nicht doch andere Ursachen haben“, erklärte TK-Apothekerin Edda Würdemann – und damit verhindern, dass Ritalin voreilig verschrieben wird. Bei sehr verhaltensauffälligen Kindern allerdings seien Präparate mit Methylphenidat „das Mittel der Wahl“, sagte Würdemann. „Nur so können die Symptome schnell gelindert werden, so dass eine begleitende Verhaltens- oder Psychotherapie überhaupt erst möglich gemacht wird.“ Ritalin könne aber eine ganzheitliche Therapie nicht ersetzen: „Die betroffenen Kinder müssen lernen, langfristig mit ihren Symptomen umzugehen – auch ohne Medikamente.“

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