Archiv für den Monat: Juni 2011

Seligsprechung: „Ihr seligen Lübecker Märtyrer, bittet für uns!“

 Quelle: Mein Beitrag in der WELT, 27. Juni 2011,

Von Edgar S. Hasse

Beifall brandete bei der Open-Air-Messe in Lübeck auf, als der Hamburger Erzbischof Werner Thissen ein päpstliches Dokument weithin sichtbar nach oben hielt. Zuvor hatte der Vatikanische Präfekt für Selig- und Heiligsprechungen, Kardinal Angelo Amato, den von Papst Benedikt XVI. unterzeichneten Text verlesen: das Dekret über die Seligsprechung der katholischen Kapläne Hermann Lange, Eduard Müller und Johannes Prassek aus Lübeck. Nun dürfen die drei Geistlichen, die ihren Widerstand gegen das NS-Regime 1943 mit dem Leben bezahlen mussten, in Norddeutschland als Selige verehrt werden. Als Zeichen dieser Würdigung rief Erzbischof Thissen den Gläubigen zu: „Ihr seligen Lübecker Märtyrer, bittet für uns!“ Rund 8500 Gläubige und Gäste hatten sich am vergangenen Sonnabend mit rund 20 katholischen und evangelischen Bischöfen versammelt, um insgesamt vier Männer zu ehren, die als „Lübecker Märtyrer“ in die Geschichte eingegangen sind. Während die katholische Kirche die drei Kapläne in den Status der Seligen erhoben und damit für religiös und regional verehrungswürdig erklärt hat, gab es für den evangelischen Mitstreiter Pastor Karl Friedrich Stellbrink am vergangenen Sonnabend und Freitag ein ehrendes Gedenken.

Das Lübecker Pontifikalamt, das mit Trommelwirbel und Posaunenklängen begann, war reich an Symbolik. Da zählte nicht nur die 82-jährige Tochter des ermordeten evangelischen Pastors zu den Ehrengästen. Da leuchteten nicht nur vier metergroße, zusammengefügte Kerzen als Zeichen ökumenischer Verbundenheit. Zelebriert wurde das Pontifikalamt zudem mit der Buchausgabe eines Neuen Testaments, das einst Kaplan Lange gehört hatte. Für das Heilige Abendmahl wurde der Kelch von Eduard Müller genutzt. Und Walter Kardinal Kasper, der langjährige Ökumene-Beauftragte des Papstes, trug ein Sakralgewand von Johannes Prassek.

In seiner Predigt würdigte Kardinal Kasper Mut und Gottvertrauen der vier Lübecker Märtyrer, die am 10. November 1943 in Hamburg innerhalb von 30 Minuten enthauptet wurden. „Am Ende floss ihr Blut ineinander. Sie sind gemeinsam gestorben, haben für ihre christliche Überzeugung wortwörtlich den Kopf hingehalten.“ Gemeinsam hätten die katholischen Kapläne und der evangelische Pastor den Grund für die Ökumene gelegt. „Unsere Ökumene ist aufgebaut auf die Ökumene der Märtyrer.“ Die noch immer sichtbare Spaltung der Kirchen mache die Christen unglaubwürdig und sei ein Skandal, so der langjährige Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Die Gläubigen rief Kasper dazu auf, sich wie einst die Märtyrer nicht einer jeweils herrschenden Kultur anzupassen. „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“, sagte er unter dem Applaus der Zuhörenden.

Zu den Gästen der feierlichen Seligsprechung gehörten auch Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD), Schleswig-Holsteins Landtagspräsident Torsten Geerdts (CDU) und der Kieler Ministerpräsident Peter Harry Carstensen. Der CDU-Politiker bezeichnete die Seligsprechung in einem Grußwort nach dem Gottesdienst als historisches Ereignis nicht nur für Schleswig-Holstein, sondern für ganz Deutschland.

Die evangelische Kirche hatte des ermordeten evangelischen Geistlichen Karl Friedrich Stellbrink bereits am Vortag mit einem Gottesdienst gedacht. Daran nahmen auch hochrangige katholische Würdenträger teil. Der Vorsitzende der Kirchenleitung Nordelbiens, Bischof Gerhard Ulrich, rief dazu auf, der vier Lübecker Märtyrer ökumenisch zu gedenken. „Der Leidensweg der drei Kapläne und des Pastors Karl Friedrich Stellbrink ist beispielhaft für eine Ökumene der Märtyrer. Ein Martyrium der Ökumene unter dem Kreuz Jesu“, so Ulrich.

Unterdessen hat Papst Benedikt XVI. die „Lübecker Märtyrer“ öffentlich gewürdigt. Sie hätten „mit ihrem gemeinsam getragenen Leiden im Gefängnis bis zu ihrer Hinrichtung im Jahre 1943 ein großartiges, geradezu ökumenisches Zeugnis der Menschlichkeit und der Hoffnung gegeben“, sagte er am Sonntag beim Angelusgebet auf dem römischen Petersplatz. Er ermutigte die Gläubigen, sich von deren Gottvertrauen anstecken zu lassen, das sie selbst in der Kerkerhaft nicht verlassen habe.

Quelle: Mein Beitrag in der WELT, 27. Juni 2011, Hamburg-Ausgabe

Edgar S. Hasse

Kardinal Kasper über die vier Lübecker Märtyrer und die Seligsprechung

Quelle: Mein Interview in der WELT, 23. Juni 2011, Hamburg-Ausgabe

9000 Besucher und mehr als 20 katholische und evangelische Bischöfe werden zur Seligsprechung der „Lübecker Märtyrer“ am Sonnabend, 25. Juni,  in der Hansestadt erwartet. Die Predigt beim Pontifikalamt hält der langjährige römische Kurienkardinal und ehemalige Präsident des Päpstlichen Einheitsrates, Walter Kardinal Kasper. In der „Welt“ würdigt er die Bedeutung der vier NS-Widerstandskämpfer.

DIE WELT: Welche Anstrengungen haben Sie selbst unternommen, damit das Seligsprechungs-Verfahren in der Kurie in Gang kam – und was lag Ihnen dabei besonders am Herzen?

Kardinal Kasper: Mit dem Verfahren selbst hatte ich nichts zu tun. Als ich die Geschichte der drei Kapläne und des evangelischen Pfarrers kennen lernte, war ich persönlich tief beeindruckt. Ich bin ja selbst noch während des Dritten Reiches aufgewachsen und erinnere mich noch des Drucks und der Atmosphäre des Misstrauens, die damals auf uns lag. Diese vier Männer zeigen, dass es damals das andere Deutschland gab, das sich nicht gebeugt hat.

Die vier Männer sind auch Vorbilder für die Ökumene?

Zugleich sind sie Zeugen, wie in der damaligen Situation das Eis zwischen den Kirchen zu schmelzen begann und im Widerstand gegen ein zutiefst inhumanes totalitäres System Christen verschiedener Kirchen, zwischen denen bis dahin Funkstille herrschte, zusammenfanden und das größere christlich Gemeinsame entdeckten, aus dem heraus dann wachsen konnte, was wir heute Ökumene nennen.

Warum sind diese Männer religiös besonders verehrungswürdig und wie stellt sich das dann in der Praxis dar?

An diesen vier Männern ist in Erfüllung gegangen, was Jesus selbst in den Seligpreisungen der Bergpredigt sagt: „Selig, die um meinetwillen beschimpft und verfolgt werden.“ Sie sind ein leuchtendes Beispiel für das, was es unter schwierigen Umständen heißt, ein Christ zu sein, nämlich sich nicht zu ducken und verstecken, nicht feige dem allgemeinen Trend nachzulaufen sondern seinem Gewissen zu folgen und auf die Stimme von Jesus Christus zu hören. Solche Vorbilder brauchen wir heute dringend. In diesem Sinn verehren wir die vier Männer als Zeugen, was in der Sprache der Bibel heißt: als Märtyrer. Zugleich wissen wir uns mit ihnen in der „Gemeinschaft der Heiligen“ verbunden, welche über den Tod hinausreicht und in die die vier Männer aufgrund der Seligsprechung durch Jesus Christus endgültig eingegangen sind. Wenn man ihre Abschiedsbriefe liest, wird deutlich, dass sie in dieser Gewissheit ihrem Tod durch das Fallbeil entgegen gegangen sind.

Welche internen Schwierigkeiten und ökumenischen Bedenken galt es im Vorfeld der geplanten Seligsprechung zu überwinden?

Die Grundschwierigkeit war und ist es in gewissem Sinn noch immer, dass die evangelische Kirche zwar auf große Vorbilder, wie etwa auf Dietrich Bonhoeffer, verweist, aber eine Seligsprechung durch die Kirche nicht kennt. Dahinter stehen noch nicht gelöste Unterschiede im Kirchen- und Amtsverständnis. So besteht auf evangelischer Seite die Schwierigkeit, dass sie denkt, dass Katholiken mit der Verehrung der Seligen und Heiligen die einmalige Stellung Jesu Christi verdunkelt. Um das letztere kann es selbstverständlich nicht gehen. Denn die eigentliche Seligsprechung geschieht ja nicht durch die Kirche und bestimmte dafür zuständige kirchliche Ämter in der Kirche, sondern durch Christus selbst; die katholische Kirche stellt nur amtlich fest, dass in diesem Fall, konkret: in diesen Fällen die Seligpreisung Jesu gilt und dass die selig Gesprochenen leuchtende Zeugen für Christus waren und sind.

Werden diese Märtyrer etwa in der katholischen Kirche angebetet?

Wir verehren sie als Zeugen Jesu Christi, aber wir beten sie nicht an. Anbetung gebührt allein Gott und das Heil kommt allein von Jesus Christus.

Wie ist die theologische und organisatorische Trennung „Seligsprechung der katholischen Kapläne“ einerseits – „ehrendes Gedenken für den evangelischen Pastor“ andererseits eigentlich zu bewerten?

Wir als katholische Kirchemachen diesen Unterschied, weil wir das unterschiedliche Verständnis der evangelischen Christen achten und wertschätzen und weil wir niemanden vereinnahmen wollen. Wir wollen aber gleichzeitig die tiefere christliche Gemeinsamkeit zum Ausdruck bringen. Denn die Seligpreisung Jesu gilt selbstverständlich für alle vier Zeugen in gleicher Weise.

Wann ist eine Heiligsprechung der drei Kapläne denkbar?

Über eine möglich Heiligsprechung zu spekulieren, macht im Augenblick keinen Sinn. Das hängt nicht zuletzt von dem fortdauernden Echo der Seligsprechung bei den Gläubigen ab, das über die Grenzen des Lübecker, Hamburger und Osnabrücker Raum hinausgeht. Denn während eine Seligsprechung eine lokale bzw. regionale Bedeutung hat, kommt einer Heiligsprechung eine universal-kirchliche Bedeutung zu. Doch jetzt freuen wir uns zunächst einmal darüber, dass der kleinen, aber bedeutsamen und regen norddeutschen katholischen Diaspora-Kirche dieses Geschenk zuteilwurde, und selbstverständlich laden wir die evangelischen Mitchristen ein, sich mit uns zu freuen und mit uns zu feiern, so wie auch wir Pastor Stellbrink in ehrendem Gedenken halten.

Die Fragen stellte Edgar S. Hasse

Neue Hamburger Bischöfin Fehrs bietet Missbrauchsopfern Gespräche an

Bischöfin Kirsten Fehrs erläutert im ersten großen Interview nach der Wahl ihre künftigen Pläne – Betroffene sollen Bedingungen stellen

 

Quelle: Mein Interview in der WELT, 21. Juni 2011, Hamburg-Ausgabe

Von Edgar S. Hasse

Nach ihrer Wahl zur Hamburger und Lübecker Bischöfin bereitet sich Kirsten Fehrs auf ihr neues Amt an der Spitze von 900 000 evangelischen Christen vor. Derzeit arbeitet die 49-Jährige noch als Hauptpastorin an St. Jacobi und Pröpstin im Kirchenkreis Hamburg-Ost. In ihrem ersten großen Interview nach der Wahl am vergangenen Freitag erläutert Kirsten Fehrs in der „Welt“ ihre künftigen Pläne und ihr Selbstverständnis als evangelische Bischöfin. Fehrs hatte sich im vierten Wahlgang gegenüber ihrer Mitbewerberin Petra Bahr durchgesetzt. Die Amtsübernahme ist für Anfang bzw. Mitte November geplant.

  

DIE WELT:

Wie haben Sie die Stunden und das Wochenende nach Ihrer Wahl am vergangenen Freitag erlebt?

Kirsten Fehrs:

FEHRS: n der Nacht danach kamen ungefähr 60 Mails mit Glückwünschen. Freunde und Verwandte haben mich angerufen oder eine SMS geschickt. Am Wochenende bin ich mit meinem Kirchenvorstand von St. Jacobi in das Ratzeburger Domkloster gefahren. Wir haben dort eine gemeinsame Zeit verbracht, uns gefreut, aber auch getrauert, weil ich die Position als Hauptpastorin von St. Jacobi nun aufgeben muss. Die Jacobiten sind einerseits sehr stolz, aber auch sehr traurig.

Warum waren bei der Bischöfinnenwahl vier Wahlgänge nötig? Das ist doch sehr viel.

FEHRS: Weil mit Petra Bahr, der EKD-Kulturbeauftragten, und mir zwei starke Kandidatinnen zu Wahl standen. Wir haben großen Respekt voreinander gehabt und die jeweils ganz andere Profilierung anerkannt. Persönlich ist uns beiden die Konkurrenzsituation nicht an die Substanz gegangen. Und das soll uns erst mal einer nachmachen! Es gab dann einen Wahlausgang, bei dem Petra Bahr in keinster Form beschädigt wurde.

20 Synodale sind nicht zur Bischofswahl erschienen. Ist das nicht auch ein Grund dafür, dass so viele Wahlgänge nötig waren?

FEHRS: Dass so viele nicht angereist waren, hat mich überrascht. 20, die nicht kommen – das macht mich nachdenklich.

Ein Ausdruck des Protestes, dass es keine männlichen Kandidaten gab?

FEHRS: Ich kann das nicht interpretieren. Da fehlen mir die Informationen. Nur: Ob das tatsächlich eine Aussage hat, das sollte man prüfen. Bei einer Bischofswahl nicht zu erscheinen und keinem Vertreter oder einer Vertreterin Bescheid zu geben, hat mich merkwürdig berührt.

Wie wollen Sie sich künftig als Hamburger und Lübecker Bischöfin in Nordelbien und in der Nordkirche positionieren? Denn viel Macht haben Sie in dieser Funktion nicht.

FEHRS: Dieses Amt ist zwar mit relativ wenig Macht ausgestattet, was die verfassungsrechtlichen Instrumentarien betrifft. Die entscheidende Machtrolle im positiven Sinne besteht aber darin, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und zu bleiben. Ich möchte als Bischöfin öffentlich und kirchlich bedeutsame Themen setzen.

Das kann sehr arbeitsintensiv werden. Frau Jepsen hatte eine 70-Stunden-Woche.

FEHRS: Schon als Pröpstin und Hauptpastorin habe ich die 60- bis 70-Stunden-Woche. Das ist für mich nichts Neues. Die Menge der Arbeit schreckt mich nicht.

Was werden Sie anders machen als die ehemalige Bischöfin Maria Jepsen?

FEHRS: Diese Frage impliziert eine Wertung der Arbeit von Frau Jepsen. Und die möchte ich positiv so beschreiben, dass sie es geschafft hat, die Randständigen in unserer Gesellschaft mit einer großen Würdigung zu versehen. Das sollte auch in meiner Amtszeit so weitergehen. Zugleich werde ich mich darum bemühen, die Beziehungen zu den Senaten in Hamburg und Lübeck, zur Handelskammer in Hamburg und zur Industrie- und Handelskammer in Lübeck und anderen Institutionen auszubauen. Also den Ebenen, in denen über Politik und Wirtschaft in unserer Gesellschaft entschieden wird. Auch gilt, dass sich die Kirche in die Meinungsbildungsprozesse einklinken sollte. Es gibt so etwas wie eine gemeinsame Verantwortung. Wir als Kirche sind Teil der Polis, der Gesellschaft, in die wir uns einbringen sollten.

Wollen Sie eine zweite Margot Käßmann werden?

FEHRS: Das will ich nicht. Frau Käßmann ist für sich ein Unikat. Ich würde schon schauen, dass ich einen starken Schwerpunkt auf das nicht öffentliche Gespräch setze.

Zum Beispiel auch mit den Opfern sexuellen Missbrauchs in Ahrensburg?

FEHRS: Zunächst ging es darum, die Fälle juristisch und disziplinarrechtlich aufzuklären. Aber es gibt auch eine menschliche Seite, die ich als Bischöfin in den Blick nehmen möchte: Respekt gegenüber den Opfern zu haben. Wobei ich den Begriff Opfer ungern benutze, weil er etwas Stigmatisierendes hat. Als wäre ein Opfer nur ein Opfer. Dieser Mensch hat doch auch ein Bedürfnis nach Normalität! Der Respekt gegenüber den Opfern schließt daher ein, die Bedingungen eines solchen Gespräches von ihnen selbst bestimmen zu lassen.

Gibt es von Ihrer Seite also ein Gesprächsangebot?

FEHRS: Ich bin gesprächsbereit.

Ab wann?

FEHRS: Nach meinem Dienstantritt im November. Ich würde mich freuen, wenn einzelne Betroffene auf mich zukommen. Auf eine solche Gegenseitigkeit kommt es an. Ich will das aber nicht so verstehen, dass ich verlange, gefragt werden will. Sondern ich meine das ausdrücklich als Respektsbezeugung: Ich signalisiere unbedingt Gesprächsbereitschaft, die die anderen annehmen können, und zwar zu ihren Bedingungen.

Bekanntlich ist es in diesen Zeiten schwierig, Menschen für den Glauben zu gewinnen. Wie wollen Sie gerade jüngere Menschen erreichen?

FEHRS: Zunächst müssen wir uns als evangelische Kirche glaubwürdig zeigen. Das hat auch etwas damit zu tun, sich in die Themen der Gesellschaft einzumischen. Darüber hinaus beobachte ich, dass sehr viele Menschen eine Sinnfrage und damit eine religiöse Frage in sich bewegen. Das beste Beispiel ist die Pilgerbewegung, wie wir sie an St. Jacobi wahrnehmen. Da kommen viele junge Abiturienten als Pilger zu uns, aber auch die über 60-Jährigen, die ihre Fragen an das Leben und den Glauben haben.

Also ist die Pilgerbewegung eine missionarische Aufgabe?

FEHRS: Es ist vor allem missionarische Arbeit!

Ist die Pilgerarbeit ausbaufähig?

FEHRS: Sie wird bereits noch in diesem Jahr ausgebaut, weil es dann für ganz Nordelbien einen Pilgerpastor gibt. Ausbaufähig ist zum Beispiel das Pilgern mit Kindern und Jugendlichen als eine Unterstützung von Identitätsfindung und als Gegenprogramm von Meditation und Ruhe gegen die Reizüberflutung.

FEHRS: Sie haben häufig bei Ihrer Kandidatur davon gesprochen, als Bischöfin die Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche zu thematisieren. Wie kann Kirche aber glaubwürdig sein, da diese Institution selbst vermögend ist und mit den Kirchensteuern über Privilegien verfügt?

FEHRS: Man kann über die Kirchensteuer sicher geteilter Meinung sein. Doch die Trennung von Staat und Kirche und das Kirchensteuersystem garantieren uns die Unabhängigkeit unserer Arbeit. Es ermöglicht und garantiert Pluralität und Freiheit.

Hat die neue Bischöfin ein Motto für die kommende Amtszeit?

FEHRS: Um mit dem Apostel Paulus aus der Bibel zu sprechen: Ich möchte eine Gehilfin der Freude sein. Und damit eine Bischöfin der Lebensbejahung.

Das Gespräch führte Edgar S. Hasse

 

 

Neue Hamburger Bischöfin Fehrs bietet Missbrauchsopfern Gespräche an

Quelle: Nachrichtenagentur dapd,  20. Juni 2011.
Die neu gewählte Bischöfin von Hamburg und Lübeck, Kirsten Fehrs, will sich für die Aufarbeitung der sexuellen Missbrauchsfälle in der nordelbischen Kirche einsetzen. Sie sei zu Gesprächen mit einzelnen Betroffen nach ihrem Dienstantritt im November bereit, sagte Fehrs der Tageszeitung „Die Welt“ (Dienstagausgabe, 21. Juni 2011). „Ich signalisiere unbedingt Gesprächsbereitschaft, die die anderen annehmen können, und zwar nach ihren Bedingungen.“ Es gelte, nach der juristischen Aufarbeitung nun die menschliche Seite in den Blick zu nehmen. Der Respekt vor den Opfern schließe allerdings ein, die Bedingungen eines solchen Gespräches von ihnen selbst bestimmen zu lassen. Kirsten Fehr, derzeit noch Hauptpastorin und Pröpstin in Hamburg, wurde am vergangenen Freitag vom nordelbischen Kirchenparlament zur Nachfolgerin von Maria Jepsen gewählt, die vor einem Jahr wegen der Missbrauchsfälle zurückgetreten war.
Bischöfin Fehrs kündigte in dem „Welt“-Gespräch darüber hinaus an, die Beziehungen zu den Senaten in Hamburg und Lübeck sowie zu den Handelskammern der beiden Hansestädte zu intensivieren. „Es gibt so etwas wie eine gemeinsame Verantwortung. Wir als Kirche sind Teil der Polis, der Gesellschaft, in die wir uns einbringen sollten“, sagte die Theologin der Zeitung. Außerdem sprach sie sich für den Erhalt des Kirchensteuersystems in Deutschland aus, das ihrer Ansicht nach die Unabhängigkeit, Pluralität und Freiheit kirchlicher Arbeit garantiert.

Mehr darüber in meinem WELT-Interview, 21. Juni, 2011, Hamburg-Ausgabe.

Kirsten Fehrs neue Bischöfin von Hamburg und Lübeck/Lauenburg

                                                                        
Von Edgar S. Hasse
mehr über die Bischofswahl am 17. Juni im Hamburger Michel in der WELT am SONNTAG vom 19. Juni, Hamburg-Ausgabe
Am Ende eines langen Wahlabends im Hamburger Michel brachte es der nordelbische Synodenpräsident auf den Punkt: „Das war ein Wahl-Krimi“.
 Vier Wahlgänge bedurfte es, bis Kirsten Fehrs, 49, Hamburger Hauptpastorin und Pröpstin, zur Bischöfin für den Sprengel Hamburg und Lübeck/Lauenburg gewählt wurde und damit zur Nachfolgerin von Maria Jepsen. Sie steht damit an der Spitze von 900 000 evangelischen Christen.
 
Dazu heißt es in der Presseerklärung der Nordelbischen Kirche:

Neue Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck ist
Kirsten Fehrs. Die bisherige Pröpstin und Hauptpastorin in Hamburg St.
Jacobi erreichte im vierten Wahlgang die erforderliche Stimmenmehrheit.
Sie erhielt 97 Stimmen der 118 abgegebenen Stimmen. Nach der
Gesetzeslage waren 71 Stimmen erforderlich. Dr. Petra Bahr war nach dem
dritten Wahlgang ausgeschieden, da keine der beiden Kandidatinnen die
erforderliche Mehrheit der Stimmen erhielt.

Fehrs tritt damit im Bischofsamt die Nachfolge von Maria Jepsen an, die
als erste lutherische Bischöfin der Welt die Aufgabe im damaligen
Sprengel Hamburg wahrgenommen hatte. Jepsen war im Sommer vergangenen
Jahres nach 17-jähriger Amtszeit zurückgetreten.

„Kirsten Fehrs ist als Hauptpastorin und Pröpstin in Hamburg durch und
durch nordelbisch, sie kennt also Stadt und Land und wird die Belange
unserer Kirche deshalb authentisch und mit der dem Amt angemessenen
Würde ausüben“, sagte Synodenpräsident Hans-Peter Strenge nach
Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Neben dem Glückwunsch für die neue
Bischöfin zollte er ihrer Mitkandidatin Dr. Petra Bahr großen Respekt,
sich zur Wahl gestellt zu haben. Bahr habe als Kulturbeauftragte der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) andere große Aufgaben vor
sich, für die er ihr viel Erfolg und Gottes Segen wünsche, sagte
Strenge.

Auch das Bischofskollegium der Nordelbischen Kirche sprach der
Neugewählten seine Glückwünsche aus. Der Vorsitzende der
Kirchenleitung, Bischof Gerhard Ulrich, verband seinen Glückwunsch mit
einem Vers aus dem 1. Thimotheusbrief: „Das ist gewisslich wahr: Wenn
jemand ein Bischofsamt begehrt, der begehrt eine hohe Aufgabe.“ Diese
erfülle die neue Bischöfin Kirsten Fehrs in hervorragender Weise. „Sie
ist eine reflektierte Theologin und brilliante Predigerin. Ich freue
mich darauf mit ihr unsere Kirche zukunftsfähig zu gestalten“, so der
Bischof.

Der ständige bischöfliche Stellvertreter im Bischofsamt des Sprengels
Hamburg und Lübeck, Propst Jürgen F. Bollmann, sagte: „Ich gratuliere
Frau Fehrs sehr herzlich zu ihrer Wahl. Ich freue mich darüber, dass der
Sprengel nun in absehbarer Zeit wieder eine einsatzfreudige Bischöfin
hat. Sie kennt die Herausforderungen, vor denen wir
gesellschaftspolitisch in der Metropolregion und kirchlich in der
werdenden Nordkirche stehen. Mit Gottes Segen werden wir gemeinsam die
uns gestellten Aufgaben angehen. Darauf freue ich mich.“ Bollmann
hatte das Amt nach dem Rücktritt von Maria Jepsen seit dem Sommer 2010
geleitet.

Zum Wahlergebnis äußerte sich ebenso der Bischofsbevollmächtigte im
Sprengel Schleswig und Holstein, Gothart Magaard: „Ich freue mich auch
persönlich auf die Zusammenarbeit mit Kirsten Fehrs im
Bischofskollegium. Mit ihren vielfältigen Fähigkeiten und Erfahrungen
als Pastorin und Pröpstin in Stadt und Land und Mitgestalterin der
bisherigen Veränderungsprozesse in unserer Kirche ist sie eine große
Bereicherung.