Archiv für den Monat: Juli 2011

Nordelbische Kirche im Reformstress – Kritik an der Basis wächst

Kritik an Reformzwängen in Nordelbien und an der Nordkirche wächst

Von Edgar S. Hasse

(Quelle: Welt am Sonntag, 24. Juli 2011) Hamburg-Ausgabe

Vor weiterem Reformstress in der nordelbischen Kirche hat der Vorsitzende des Vereins der Pastorinnen und Pastoren in Nordelbien (VPPN), Lorenz Kock, gewarnt. „Viele in den Gemeinden und Pastoraten sind schon jetzt ermüdet und manche resigniert“, sagt der nordelbische Pastor. Neben dem „nicht endenden Reformprozess“ in Nordelbien käme nun die Fusion mit der mecklenburgischen und pommerschen Kirche dazu. Es bleibe abzuwarten, inwieweit die bisher überschaubaren Ortsgemeinden, die nun in ganzen Regionen zusammengefasst werden, „den gewaltigen Reformprozess verkraften werden“, betonte der VPPN-Vorsitzende, der an der Spitze von 1500 Pastoren steht. Die Kirchen an Nord- und Ostsee seien nun auf ewig ungeteilt: „op ewig ungedeelt“.

Die offizielle Gründung der Nordkirche ist für Pfingsten 2012 geplant. Sie umfasst 2,4 Millionen evangelische Kirchenmitglieder in einem Gebiet, das von Helgoland bis zur polnischen Grenze reicht. Damit ist die neue Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland die fünftgrößte evangelische Landeskirche in Deutschland. Sie besteht aus der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburg und der Pommerschen Evangelischen Kirche. Nach Ansicht von Pastor Kock ist allerdings noch nicht absehbar, wie sich der doppelte Reformprozess auf die knapp 600 nordelbischen Kirchengemeinden auswirkt.

„Das Schiff, das sich eigentlich Gemeinde nennt, nahm Kurs auf – doch wohin?“, fragt sich der VPPN-Vorsitzende. In den Verfassungsentwurf für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland gelte es, die „Farbigkeit und Identität der beteiligten drei Landeskirchen einzuzeichnen“. Ähnlich äußerte sich Pastor Herbert Jeute, der Vorsitzender der Pastorenvertretung in Nordelbien ist – dem „Betriebsrat“ für die Geistlichen. Die Positionen der einzelnen Gemeinden würden im nordelbischen Reformprozess geschwächt. Der Nordelbische Pastorentag wird sich deshalb im September im Schleswiger Dom mit den Folgen des Reform- und Fusionsprozesses befassen. Unterdessen hat die Kirchengewerkschaft VKM in Nordelbien heftige Kritik an der geplanten unterschiedlichen Bezahlung in der künftigen Nordkirche geäußert.

„Das Trennungsmodell ist ein Riesenproblem“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Verbandes Kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (VKM) Karin Jensen-Bundels. Demnach werden für kirchliche Mitarbeiter wie Küster, Erzieherinnen und Verwaltungsangestellte in Mecklenburg und Pommern auch künftig die Gewerkschaften nicht am Verhandlungstisch sitzen. Dort wollen die Kirchenoberen auch nach der Fusion am sogenannten dritten Weg festhalten. In Nordelbien gibt es dagegen Tarifverträge, die von Gewerkschaften und dem kirchlichen Arbeitergeberverband ausgehandelt werden. „Es ist bislang nicht gelungen, Tarif und Gewerkschaft einheitlich zu installieren“, klagte die kirchliche Gewerkschaftlerin. Die Kirchengewerkschaft VKM, die die Interessen von 30 000 Mitarbeitern in Kirche und Diakonie in Nordelbien vertritt, kündigte weitere Proteste an. Nach Angaben der „Nordelbischen Kirchenzeitung“ befürchtet VKM eine „Zwei-Klassen-Arbeitnehmerschaft“. Wie die Pastorenvertreter warnte auch VKM-Vize Jensen-Bundels vor den Belastungen des doppelten Reformprozesses. „Die eine Fusion ist noch gar nicht verdaut, da kommt die nächste.“ Ihrer Ansicht nach habe die Zusammenlegung von Kirchenkreisen keine Einsparungen gebracht. „Das Ganze ist deutlich teurer geworden.“

Kirchen: Der Sonntag darf nicht baden gehen – Kritik an Bäderregelung im Norden

Von Edgar S. Hasse (Mein Beitrag in der WELT, 8. Juli 2011, Nord)

Einkaufen an sieben Tagen in der Woche? Die liberale Bäderregelung an Nord- und Ostsee wird ein Fall für die Justiz

 

 

 

Die evangelische und katholische Kirche haben einen Normenkontrollantrag gestellt

Die Zahl der Sonntage mit Ladenöffnung soll reduziert werden. Der Tourismusverband protestiert

Von Edgar S. Hasse

Mitten in die Strandsaison platzt jetzt die Nachricht, dass die Kirchen erneut juristisch gegen die Bäderregelung an der Nord- und Ostseeküste vorgehen wollen. Das Erzbistum Hamburg und die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche wehren sich dagegen, dass die Geschäfte in den Ferienregionen an zu vielen Sonntagen im Jahr geöffnet sind und somit der Sonntagsschutz nicht mehr gewährleistet sei.

Deshalb wird ein Normenkontrollverfahren bei den Oberverwaltungsgerichten Schleswig und Greifswald und damit eine Überprüfung der Rechtslage angestrebt. Anlass für diesen Schritt ist das am Donnerstag bekannt gewordene Scheitern der Gespräche zwischen Kirchen- und Landesvertretern aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Beide Parteien schätzen die Verfassungskonformität der bestehenden Bäderregelung mit den erlaubten Sonntagsöffnungen unterschiedlich ein. Wie die Kieler Wirtschafts-Staatssekretärin Tamara Zieschang sagte, stützt sich die bisherige Verordnung auf einen breiten politischen Konsens. „Die Regelung betrifft lediglich 8,6 Prozent der Gemeinden und hat sich in der Praxis bewährt.“ Die nordelbische Kirche und das Erzbistum Hamburg erklärten dagegen, dass die Bäderverordnung den Einkauf an zu vielen Sonntagen ermögliche – im Jahr 2009 immerhin 45. Derzeit dürfen die Geschäfte in Schleswig-Holstein vom 14. Dezember bis zum 31. Oktober in 90 Kur- und Erholungsorten auch sonntags öffnen.

„Wir streben statt dessen eine moderate Regelung von Ende März bis Ende Oktober an“, sagte der Bischofsbevollmächtigte der nordelbischen Kirche, Gothart Magaard. Die neue Regelung sollte einen verfassungskonformen und vernünftigen Ausgleich zwischen Sonntagsschutz und berechtigen touristischen und wirtschaftlichen Interessen ermöglichen. „Unsere Gesellschaft braucht einen gemeinsamen Tag der Entschleunigung. Auch Gott ruhte am siebten Tag“, so Magaard. Erzbischof Werner Thissen erinnerte an die Bedeutung des Sonntages als Weltkulturerbe, das zu erhalten sei. Gerade eine schnelllebige Gesellschaft brauche „Zeit für Familie, Zeit für Freunde und auch Zeit für Gott“, sagte er. Ohne verbindliche und planbare Auszeit nehme die Gesellschaft und damit der Mensch Schaden an Leib und Seele.

Mit Bedauern reagierte der Tourismusverband Schleswig-Holstein (TVSH) auf den neuerlichen Vorstoß der Kirchen. „Wir sind enttäuscht, dass die aus unserer Sicht konstruktiven und intensiven Gespräche mit den Vertretern der Kirchen zu keiner gemeinsamen Lösung geführt haben“, sagte der Verbandsvorsitzende Volker Popp. Von den 189 anerkannten Kur- und Erholungsorten könnten weniger als die Hälfte von der Bäderverordnung Gebrauch machen. „Damit ist deutlich, dass in Schleswig-Holstein nur sehr moderat von der Regelung Gebrauch gemacht wird.“ Bislang, so Popp, der auch Bürgermeister von Timmendorfer Strand ist, habe es stets eine gute Zusammenarbeit zwischen Touristenorten und Kirche gegeben. Doch diese Kooperation werde nun durch die Entscheidung der norddeutschen Kirchen „auf eine harte Probe gestellt“.

Einzelhandelsverbands-Chef Dierk Böckenholt warnte, dass „jede zeitliche oder örtliche Einschränkung der Bäderregelung unmittelbar Arbeitsplätze im Einzelhandel“ gefährde. „Uns ist es unverständlich, warum die beiden großen Kirchen Unsicherheit für viele kleine und mittlere Betriebe in den Tourismusorten unseres Landes schaffen“, kritisierte Peter Michael Stein, Hauptgeschäftsführer der IHK.

Eine starke Liberalisierung erfährt die Bäderregelung in Mecklenburg-Vorpommern. Nach Angaben von Schwester Cornelia Bührle, Ständige Beauftragte der Erzbischöfe von Hamburg und Berlin am Sitz der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, erstreckt sie sich auf Ortschaften, deren Bevölkerung rund die Hälfte der gesamten Landesbevölkerung umfasst. An mehr als 35 Sonntagen im Jahr dürften die Geschäfte in 96 Orten und Ortsteilen geöffnet werden. „Die geltende Bäderregelung entspricht unseres Erachtens bei der Gesamtschau auf die örtlichen, zeitlichen und sachlichen Verhältnisse noch nicht den rechtlichen Erfordernissen der Rechtsprechung“, so Bührle.