Streifzug durch die Nacht der Kirchen in Hamburg

 

Quelle: Mein Beitrag in der WELT, 19. September 2011

 

http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article13612781/Wunderbar-85-000-bei-der-Kirchennacht.html

 

Vorhang auf für die Nacht der Kirchen. Am Eingang der Jerusalemkirche an der Schäferkampsallee, direkt neben dem Krankenhaus, ist der rote Teppich ausgerollt. Wo sind die Promis? Die Paparazzi? Nein, hier sind nicht nur VIPs, sondern alle willkommen, die hinein wollen in die ökumenische Kirchennacht.

Ein Duft von orientalischen Speisen steigt in die Nase. Es gibt im Eingangsraum Geflügelspieße und andere Köstlichkeiten aus dem benachbarten Restaurant „Mazza“. Wunderbar. So lautet schließlich auch das Motto der achten ökumenischen Nacht der Kirchen – ein Wort, entlehnt aus dem 139. Psalm des Alten Testaments. Im Großen Saal lauschen gut 150 Zuhörer den Worten von Rabbiner Yuriy Kadnykov und von Pastor Hans-Christoph Goßmann. Das Zusammentreffen der beiden Religionsvertreter ist eine Premiere bei der Kirchennacht. Beide sprechen über den 139. Psalm. „Es gibt sonst keinen Psalm, der so von der Vereinigung von Gott und Mensch spricht“, sagt der Rabbi, während immer mehr Zuhörer betagten Alters Platz im voll besetzten Saal finden wollen.

x Zur gleichen Zeit startet am Mönckeberg-Brunnen die zentrale Eröffnungsfeier für die achte Nacht der Kirchen. Ein „Fest mit Literatur, Musik, Kunst und Tanz“, eine Kulturveranstaltung soll es nach Angaben der Organisatoren werden. 130 Gemeinden mit mehr als 2000 ehrenamtlichen Helfern beteiligen sich daran und bieten 670 Stunden volles Programm. Gemeindekirchen aller Konfessionen, Hauptkirchen, Seemannskirchen, Flussschifferkirche sowie Bahnhofsmission und Heilsarmee haben knapp 600 Veranstaltungen im Angebot. Selbst Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ist gekommen, um dem Publikum zu versichern: „Hamburgs Kirchen haben einen festen Platz im Alltag der Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt.“ Für viele seien sie Räume der Gemeinschaft und Spiritualität, für andere Orte der Ruhe.

Wie die Christuskirche in Eimsbüttel, wo Pastorin Idalena Urbach mit gerötetem Kopf zum Mikrofon greift. Schließlich ist heute die Nacht der Kirchen. Und schließlich geht es bis Mitternacht um die Not der Flüchtlinge, um Migration im Mittelmeerraum. Zur Einstimmung auf die Problematik brilliert der St. Pauli Downhome Gospelchoir mit Liedern aus dem Repertoire und wunderbaren Solostimmen. Das wenig zahlreich erschienene Publikum klatscht begeistert Beifall.

Am Eingang verteilt eine freundliche Dame Kerzen und Zettel mit dem Programm des Abends, Bibeltexten und Gedichten. Auch der 139. Psalm ist darauf abgedruckt. Allerdings nur die schönen Stellen. Zum Beispiel: „Ich danke dir, dass ich so wunderbar gemacht bin.“ Dass da wenig später auch vom Tod der Gottlosen die Rede ist – diese Verse wurden einfach weggelassen. Dabei hatten doch der Rabbi und der Pastor in der Jerusalemkirche kurz zuvor gesagt: „Man kann den Text nicht einfach abschneiden.“ Schwierige Bibelstellen dürften nicht weggelassen werden.

Solche Probleme werden in der Heilandskirche auf der Uhlenhorst umschifft. Denn hier dreht sich alles um Unterhaltungsmusik. Der imposante Bau, zwischen 1926 und 1928 nach den Plänen des Hamburger Architekten Emil Heynen errichtet, ist mit farbigem Licht illuminiert. Auf dem Kirchplatz schimmern weiß gedeckte Tische. Am Portal steht ein einsamer Mann, Bratwürste feilbietend. Es ist der Grillmaster des Abends. Doch von Gästen draußen noch keine Spur. Dafür geht drinnen im Gotteshaus die Post ab. Gut 350 Leute klatschen tosend Beifall, sie fordern Zugaben. Bis schließlich die jungen Akteure im Altarraum vor dem überdimensionalem Kreuz frei nach Nena singen: „Die Zeit ist reif für ein bisschen Zärtlichkeit.“ Auffällig viele junge Leute sind gekommen, um der pop-musikalischen Reise zum Herrn nach dem Motto „10 nach 10 = 20 Songs für ein Halleluja“ zu folgen. Eine perfekte Aufführung. Wunderbar.

Auf das Wunder einer mystischen Nacht warten unterdessen die Zuhörer im „Barmbeker Dom“ St. Sophien. Jeder Gast erhält am Eingang eine brennende Kerze, die das Kirchendunkel zaghaft erhellt. Bei der gesungenen Vesper erinnert Prior Thomas Krauth vom Dominikanerkloster an den mittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart (1260–1326). Es duftet nach Weihrauch in der bis auf den letzten Platz besetzten Kirche. „Gott wohnt in jedem Menschen inne“, ruft der Prior den Menschen zu, während eine Frau von einem Weinkrampf geschüttelt wird. Als die alten Psalmen erklingen, muss sie immer wieder mit ihren Tränen kämpfen.

Bis in die Morgenstunden wird die mystische Nacht noch dauern. Am Tag danach heißt es, dass diesmal 85. 000 Gäste die Nacht der Kirchen besucht hätten – so viele wie nie zuvor. Das größte ökumenische Kirchenfest im Norden gehöre zu den „erfolgreichsten Kulturveranstaltungen in der Hansestadt“.

Damit ist die Kirchensteuer doch gut investiert. Oder? Der kostenlose Besuch einer kulturellen Kirchennacht ist unschlagbar im Vergleich zum teuren Abo in der Musikhalle und im Schauspielhaus. Nur dass bei dem Mega-Fest die christliche Kernbotschaft ein bisschen zu kurz kam.

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