Archiv für den Monat: Januar 2012

Sturmflut 1962 in Hamburg: Wie eine damals Elfjährige die Katastrophe überlebt hat – und ein neues Zuhause in den USA fand

 

FOTO: JOHANNES ARLT(Das Foto von Johannes Arlt zeigt Claudia Behlau, damals 11 Jahre alt, am Wilhelmsburger Aßmann-Kanal.)

 

In jener Nacht, als die Sturmflut kam, schlief Claudia Behlau im Bett ihrer Eltern. Die damals Elfjährige musste mit der „Besucherritze“ vorliebnehmen. Schließlich war die schwer asthmakranke Großmutter zu Besuch, die das Kinderzimmer in der knapp 70 Quadratmeter großen Wohnung in Wilhelmsburg bezogen hatte. Claudia lebte gern hier, in der Rotenhäuser Straße 45. Oben im dritten Stock wohnte ihre Freundin. Ihre Familie wohnte unten, Parterre. Nicht weit vom Aßmann-Kanal.

Die Sturmflut in der Nacht vom 16. zum 17. Februar 1962 ließ die Deiche bersten und drückte die Wassermassen in den sonst so friedlichen Kanal. Von allen Seiten wurde die Elbinsel Wilhelmsburg überflutet. Es traf die Lauben in den Kleingärten besonders. Aber auch ganze Wohnkomplexe, die kleinen Häuser, die Straßen und Plätze. In Wilhelmsburg war Land unter. 172 Menschen kamen ums Leben – 172 von insgesamt mehr als 300 Sturmflutopfern. Allein in Wilhelmsburg blieben in den Tagen danach mehr als 60 000 Einwohner von den Fluten eingeschlossen. Eine von ihnen: die Schülerin Claudia Behlau, Tochter eines kaufmännischen Angestellten, mit ihrer Familie.50 Jahre später steht die heute 61-jährige Lehrerin am Aßmann-Kanal, dessen Wasser die Parterre-Wohnung gut 1,50 Meter hoch überflutete.

„Wir hatten Glück gehabt“, sagt sie. Als die Flut kam, konnte sich ihre Familie im dritten Stock in Sicherheit bringen. Und einen Monat später durfte Claudia sich sogar in der Nähe von New Orleans bei einer amerikanischen Gastfamilie von den Strapazen erholen. „Bis ich vom wahren Ausmaß der Katastrophe erfuhr, war die Hamburger Sturmflut für uns Kinder wie ein großes Abenteuer“, erinnert sie sich.Viele Jahre hat sie über die Ereignisse nur wenig gesprochen. Es gab nicht immer einen Anlass dafür. Doch jetzt, nach der Rückkehr zum Aßmann-Kanal, tauchen die Bilder vor 50 Jahren wieder auf.Wie sie mitten in der Nacht wach wurde, weil die Leute auf der Straße plötzlich laut schrien. Und der Vater zunächst seelenruhig dachte, das seien Betrunkene.

Und wie sie Hals über Kopf aus der Wohnung rannten, ihr Bruder nur mit einem Leibchen bekleidet. Die Treppe hinauf, in den dritten Stock, zu ihrer Freundin. Dort oben konnten sie am nächsten Tag sehen, was sich die Elbe in kurzer Zeit genommen hatte. „Wir schauten aus dem Fenster und sahen Kuhkadaver und Autos im Wasser schwimmen. Dann sahen wir Rettungsboote, in denen Leute saßen. Während die Erwachsenen in Sorge waren, fanden wir Kinder das alles ziemlich interessant. Außerdem mussten wir nicht in die Schule gehen.

„Um sich die Zeit zu vertreiben, stiegen die Mädchen auf das Dach. Sonst durften sie das nicht. Aber wo halb Hamburg im Wasser versank, achtete niemand mehr darauf. Die Erwachsenen entzündeten auf dem Dachboden ein offenes Feuer, um sich zu wärmen. Strom gab es nicht mehr, auch kein Telefon. Zum Glück besaß einer der Mieter ein Transistorradio. Per Hörfunk erfuhren die Eingeschlossenen, was Sache war.Doch in ihre Wohnung zurückkehren konnte Claudias Familie nicht, nachdem der Pegel gesunken war. Eine zentimeterdicke Schlammschicht hatte sich über den Fußboden und die Möbel gelegt.

„Es stank bestialisch.“ Während die Großmutter wegen eines Rippenbruchs per Hubschrauber in ein Krankenhaus kam, fand Claudia später eine Bleibe in einer Rintelner Jugendherberge.Dankbar erinnert sie die heutige Beratungslehrerin in einer der regionalen Beratungsstellen Rebus daran, wie sie das erste Care-Paket erhielt. Die Augen strahlen, als sie über die damals heiß begehrten Utensilien zivilen Komforts berichtet: Seife! Zahnpasta! Waschlappen! Und ein Handtuch!Es sollte noch besser kommen: Weil die Grundschülerin zu den Flutopfern gehörte, die zunächst nicht mehr in die alte Wohnung zurückkehren konnten und weil sie außerdem etwas Englisch beherrschte, durfte sie einige Wochen in den USA verbringen.

Mit dem Flugzeug zuerst nach New York und später mit dem Dampfer MS „Berlin“ wieder zurück. Als die norddeutsche Flutkatastrophe international für Schlagzeilen sorgte, zeigten die Amerikaner Solidarität. „Ich durfte nach Shreveport, in die drittgrößte Stadt im US-Bundesstaat Louisiana.“ Dort wurde sie mit anderen Hamburger Sturmflutopfern vom Gouverneur des Bundesstaates, Jimmie Davis, empfangen, einem zudem bekannten Sänger („You Are My Sunshine“).

Noch heute weiß Claudia Behlau genau den Termin der „Kinderverschickung“ in den Süden der USA – vom 23. März bis 23. Juni 1962. Und das in den feinen Bungalow eines Herzspezialisten. Sie konnte damals nur staunen über die Großzügigkeit und Weltläufigkeit des amerikanischen Way of Life.So also verlief ihre Sturmflutgeschichte, über die sie jahrzehntelang nur wenig nachdachte. Bis zu den Ereignissen im August 2005. Der Hurrikan „Katrina“ hatte ausgerechnet in jener Region der USA Verwüstungen ungeahnten Ausmaßes angerichtet, in der sie als Schülerin so viel Unterstützung und Zuwendung erfahren hatte.

1800 Menschen kamen rund um New Orleans ums Leben, Zehntausende wurden obdachlos. „Man muss doch etwas machen“, dachte sich Claudia Behlau damals.Und sie handelte. In Zusammenarbeit mit einer Hilfsinitiative nahm sie in ihrer Wohnung in der Nähe von Winsen/Luhe zwei Jungs aus New Orleans im Alter von elf und 13 Jahren auf, etwa einen Monat lang – Opfer einer verheerenden Flutkatastrophe wie sie selbst, damals in Wilhelmsburg.

Doch während die deutsche Schülerin 1962 in der Neuen Welt aus dem Staunen nicht herauskam, erlebten die Jungs das Deutschland im Jahr 2005 mit ganz anderen Augen. „Ich hatte den Eindruck, dass sie unseren Lebensstil als recht gewöhnungsbedürftig empfanden“, sagt Behlau. „Die gemeinsamen Mahlzeiten in der Familie fanden sie eigenartig. Und auch sonst sahen sie Deutschland als rückständig an.“ So unterschiedlich können die Erfahrungen von Flutkindern sein.Was nach all den Jahren bleibt, ist bei Claudia Behlau die Dankbarkeit für die vielfältig erfahrene Hilfe. Bei ihren betagten Eltern ist es der enorme Respekt vor Sturm und Wellen.

 

GEDENKVERANSTALTUNGEN IN HAMBURG AN DIE STURMFLUT

 

Zur Erinnerung an die Sturmflut vom 16./17. Februar 1962 –

Gedenkveranstaltungen in den Ev.-Luth. Kirchengemeinden in Wilhelmsburg und Süderelbe (Quelle: Kirchenkreis Hamburg Ost, Januar 2012) 

In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 brachte eine Sturmflut von der Nordsee über die Elbe die bis dahin schlimmste Flutkatastrophe für Hamburg. Mehr als 60 Deiche brachen. Über 300 Menschen kamen ums Leben, auch weil die Bevölkerung viel zu spät oder teils nicht gewarnt worden war. Mehrere tausend Menschen wurden obdachlos.

50 Jahre nach der Katastrophe veranstalten Kirchengemeinden in Wilhelmsburg und den Süderelbe-Gemeinden zahlreiche Gedenk-Veranstaltungen. Am Donnerstag, dem 16. Februar wird beispielsweise mit einer Illumination der St. Pankratius-Kirche in Neuenfelde der Kirche als rettender Insel während der Sturmflut gedacht.

 

Bereits heute sind an insgesamt 14 Standorten in Wilhelmsburg Großfotos im öffentlichen Raum ausgestellt. Sie zeigen die Sturmflut im Februar 1962.

 Mittwoch 15.2., 19.00 bis 20.30 Uhr

„ … dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die die Erde verderbe …“ (1. Mose 9,11) – Sind Katastrophen „Gottes Wille“? Glaube angesichts des Unglücks.

Gesprächsandacht mit Pastor Vigo Schmidt und Pastorin Carolyn Decke

Ev.-luth. Kreuzkirche Wilhelmsburg, Kirchdorfer Str. 168

 

Don­ners­tag, 16.2., 16 Uhr

Do­ku­fik­ti­on (NDR/Arte) „Die Nacht der Gro­ßen Flut“

St. Ni­ko­lai-Kir­che Fin­ken­wer­der, Fin­ken­wer­der Land­schei­de­weg 157

 

Donnerstag, 16.2., 16.30 Uhr

Ökumenisches Gedenken an die Flutopfer, Kath. St. Maximilian-Kolbe-Kirche Wilhelmsburg, Krieterstraße 9

 

Donnerstag, 16.2., 18.30 Uhr

Ge­mein­sa­mes Kir­chen­glo­cken­ge­läut der Kir­chen in der Region Süd­er­el­be

 

Donnerstag, 16.2., Beginn: 18.30 Uhr

Illuminationen der St. Pankratius-Kirche Neuenfelde, Organistenweg 7

Die Kirche als rettende Insel

Die auf einer Warft liegende St. Pankratius-Kirche war inmitten der Fluten für viele Menschen in Neuenfelde Zufluchtsort in der Nacht der Sturmflut und in den darauffolgenden Tagen. Zum Gedenken daran wird die Kirche 50 Jahre später in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar mit Spezialscheinwerfern illuminiert (Beginn mit Glockengeläut um 18.30 Uhr, Ende mit dem Morgengrauen). Die Fassade und der Turm werden in wechselnden Farben beleuchtet und acht Hochleistungsscheinwerfer werden ein „Dach aus Licht“ über die Kirche strahlen, das die schützende Hand Gottes symbolisieren soll. Außerdem werden Original-Filmaufzeichnungen von 1962 auf das Kirchendach projiziert.

 

Sams­tag, 18.2., 11 Uhr

Ent­hül­lung einer Ge­denk­ta­fel für die Wal­ters­ho­fer Flut­op­fer
Ge­län­de des See­manns­clubs Duck­dal­ben, Zell­mann­stra­ße 16

 

Sonnabend, 18.2., 15.00 – 16.30 Uhr

„Wenn wir diese Nacht bloß überleben!“ – Wilhelmsburger Zeitzeugen erinnern sich.

Paul-Gerhardt-Kirche Wilhelmsburg, Georg-Wilhelm-Straße 121,

Ansprechpartner: Diakon Elmar Förster, Tel. (040) 7532268

 

Sonntag, 19.2., 10 Uhr

Gedenkgottesdienst für alle Süderelbegemeinden mit Pastorin Anja Blös

St. Maria Magdalena Kirche Moorburg, Nehusweg

 

Sonntag, 19.2., 15 Uhr

Ökumenischer Gottesdienst zum Flutgedenken mit Bischöfin Kirsten Fehrs und Erzbischof Dr. Werner Thissen, Emmauskirche Wilhelmsburg, Mannesallee

 

Sonn­tag, 19.2., 17 Uhr

Gos­pel­got­tes­dienst zum Flut­ge­den­ken
St. Ni­ko­lai-Kir­che Fin­ken­wer­der, Fin­ken­wer­der Land­schei­de­weg 157

 

Sonntag, 26.2., 16 Uhr

Flut 1962 – Erinnern. Gedenken. Erzählen. Ein Dokumentarfilm zur Hamburger Sturmflut von Frauke Paech, St. Raphael Kirche Wilhelmsburg, Wehrmannstraße 7

 

 

 

 

Hinrich C. G. Westphals Erinnerungen aus 40 Jahren: Andere Zeiten – unterwegs als Pfarrer und Journalist

 Umstrittene Nissan-Werbung 1997.

 

von Edgar S. Hasse

Quelle: DIE WELT, Hamburg, 10. Januar 2012, http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article13806993/Als-ein-Pastor-den-Nissan-Konzern-stoppte.html

Der Autokonzern Nissan sorgte 1997 für Schlagzeilen. Im Auftrag der Japaner hatte eine Hamburger PR-Agentur die Werbung für den Kleinwagen Nissan entwickelt. „Dein Micra komme“ hieß es da etwa in Anspielung an das Vaterunser. Oder: „Seid versichert: Nissan ist bei Euch.“ Und schließlich texteten die PR-Profis: „Im Namen des Vaters, der Sohnes und der eiligen Familie.“

Einem Mann der Kirche stieß die bundesweite Werbung besonders sauer auf: Hinrich C. G. Westphal, Hamburgs evangelischer Öffentlichkeitspastor. Der engagierte Theologe und Journalist beschwerte sich prompt mit der von ihm gegründeten „Projektgruppe Glaubensinformation“ bei den Konzernoberen im fernen Tokio. Und siehe da, Nissan bat nach wenigen Tagen um Vergebung wegen der Verletzung religiöser Gefühle und rief die für Christen anstößige kommerzielle Werbung zurück. „Gott sei Dank gestoppt!“, titelte erleichtert „Autobild“ am 13. Juni 1997. Diese und viele andere Geschichten erfährt, wer das neuen Buch des prominenten Geistlichen und Publizisten liest – einem Schüler des Hamburger Theologen Helmut Thielicke. Unter dem Titel „Wege und Wunder. Unterwegs als Pfarrer und Journalist“ (Friedrich Wittig Verlag Kiel, 118 S., 12,95 Euro) will Hinrich C. G. Westphal zwar keine Autobiografie vorlegen. Aber in der Summe ist es ihm auf höchst unterhaltsame Weise gelungen, ein sehr persönliches Buch lebensgeschichtlicher Anekdoten zu schreiben. Schließlich kann er auf einen Erfahrungsschatz von 40-jähriger Arbeit in der Medienmetropole Hamburg zurückblicken. Mit einem Anfang ausgerechnet im Knast: „Als mein Studium beendet war, landete ich im Gefängnis, wenn auch nur beruflich“, schreibt der Seelsorger.

Mehr noch: Auf Westphals Initiative geht die Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“ und „Der Andere Advent“ zurück. Zudem hat Westphal in Hamburg den ökumenischen Verein „Andere Zeiten“ ins Leben gerufen, dessen jährlich neu konzipierter Adventskalender eine einzigartige Erfolgsgeschichte ist. Im vergangenen Jahr wurden bereits 430. 000 Exemplare verkauft.

Im Kapitel „Fasten auf evangelisch“ schildert der Bestsellerautor , wie die Aktion 1983 bei einem Hamburger Journalisten-Stammtisch nach reichlich Wein und Zigaretten kurz vor Aschermittwoch aus der Taufe gehoben wurde. Die Journalisten aus diesem Kreis hätten entscheidend dazu beigetragen, dass die Aktion in der Passionszeit so schnell in Deutschland populär wurde, sagte Westphal am Montag bei der Präsentation des Buches. Nie habe Westphal als Pastor und Journalist ein Blatt vor den Mund genommen, betonte Michael Stahl, der Geschäftsführer des Wittig Verlages. Welches Konfliktpotenzial sich mit der Institution Kirche etwa ergeben kann, beschreibt der Autor im Kapitel „Kirche als Unternehmen“. Als vor rund zehn Jahren professionelle Managementberater kirchliche Strukturen auf den Prüfstand stellten, mehrten sich auch bei ihm Zweifel über die tatsächliche Effizienz dieser Arbeit. „Dabei müssen alle in der Kirche Verantwortlichen eines gemeinsam verhindern: dass wir strukturelle Luftgespinste spinnen und viele organisatorische Künste treiben, dabei aber immer weiter vom theologischen Ziel abkommen“, lautet seine Empfehlung. Oder anders gesagt: „Ich bin mehr für Missionieren als Fusionieren.“

Was das Buch uneingeschränkt empfehlenswert macht, ist die prägnante Sprache und die häufig humorvolle Perspektive. So kann auch nur einer schreiben, der die Bodenhaftung nicht verloren und das Gespräch mit den so genannten Kleinen Leuten immer gesucht hat. Was Hinrich C. G. Westphal in seinem publizistischen Unruhestand als nächstes schreibt? „Ich habe ein Buch über den christlichen Humor geplant“, sagt er mit gebotenem Ernst.

Historischer Tag: Grünes Licht für die Nordkirche

 

 

Von Edgar S. Hasse

(Quelle: WELT Hamburg, 9.Januar 2012), http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article13805019/Die-Geburt-einer-neuen-Landeskirche.html

 Die Passagiere der Ostseefähren „Prins Joachim“ und „Huckleberry Finn“ ahnten beim Anlaufen des Warnemünder Hafens kaum, dass sich hinter den Kulissen einer Hotelanlage am Hafenrand etwas Historisches ereignete. Mit Meerblick und bei regem Schiffsverkehr sorgten am Sonnabend gegen 13.12 Uhr 255 evangelische Kirchenparlamentarier für einen Stapellauf der besonderen Art: Sie votierten mit einer deutlichen Mehrheit von 227 „Ja“-Stimmen nach dritter und entscheidender Lesung für die Fusion von drei evangelischen Landeskirchen. Die Gründung der „Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland“ mit ihren dann 2,3 Millionen Mitgliedern soll am Pfingstsonntag (27. Mai) offiziell besiegelt werden. Damit verlieren die nordelbische, mecklenburgische und pommersche Landeskirche endgültig ihre Existenz.

Minutenlanger Beifall brandete auf, nachdem der Präses der Verfassungsgebenden Synode, Heiner Möhring, die einzelnen Ergebnisse mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit verkündet hatte. Es dauerte noch eine Weile, bis Bischof Gerhard Ulrich (Kiel), Vorsitzender der Gemeinsamen Kirchenleitung, ans Rednerpult trat und dabei die Synodengemeinde unter den Kronleuchtern des Konferenzzentrums „Großer Gott wir loben dich“ schmetterten.

Zunächst nämlich gab es überall im Saal Glückwünsche, Umarmungen und aufmunternde Worte, bis Ulrich auf dem Podium sagte: „Dies ist nicht das Ende eines Weges, sondern der Beginn der gemeinsamen Wanderschaft.“ Die Fusion habe Bedeutung für den gesamten Protestantismus in Deutschland. „Die Vielfalt der Formen ist nicht seine Schwäche, sondern seine Stärke.“ Den Kritikern des Fusionsprozesses zollte er Verständnis und Respekt. Und versprach: „Wir werden alles für tun, um sie mit ihren Bedenken mitzunehmen.“

Auch die beiden anderen Bischöfe äußerten sich erleichtert. Der Schweriner Landesbischof Andreas von Maltzahn zeigte sich „dankbar für die klare Entscheidung“. Und der Greifswalder Bischof Hans-Jürgen Abromeit meinte, die pommersche Kirche habe nun die „bestmögliche Kirchengestalt gefunden“. Vor allem die prekäre Finanzlage der kleinen pommerschen Kirche gilt als Auslöser für die ersten Sondierungen vor acht Jahren.

Auch Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, begrüßte in einer Erklärung den endgültigen Beschluss. Nun entstehe „die erste Gliedkirche der EKD, die große ost- und westdeutsche Gebiete in einer Kirchenstruktur vereint“, betonte der Geistliche.

Kirsten Fehrs, Hamburger und Lübecker Bischöfin, sagte der „Welt“: „Ich gehe mit großem Interesse auf die neue Kirchengestalt zu.“ Die Debattenkultur mit dem kontroversen und profunden Abwägen der Argumente vor der Entscheidung habe sie besonders begeistert. „Das war wie das Finale einer Oper.“ Impulse erwartet die Bischöfin beim gegenseitigen Erfahrungsaustausch angesichts wachsender Säkularisierung. So sind im Sprengel Mecklenburg nur noch 18, in Pommern 19 Prozent der Bevölkerung evangelisch, während in Schleswig-Holstein rund 60 Prozent der Einwohner der evangelischen Kirche angehören. In Hamburg sind es 41 Prozent.

So eindeutig die Warnemünde Fusionsentscheidung ausfiel, so kontrovers diskutierten die Kirchenparlamentarier noch bis kurz vor Mitternacht den so genannten Überleitungsbeschluss für die Bischöfe in Greifswald, Schwerin, Hamburg/Lübeck sowie Schleswig/Holstein. Hintergrund dafür waren offenbar Vorbehalte der Pommern gegen die Dauer der Amtszeit des Greifswalder Bischofs Abromeit. Doch schließlich wurde ein zeitlich befristeter Kompromissverschlag gefunden.

Noch nicht entschieden ist aber, wer künftig als Landesbischof bzw. Landesbischöfin die Nordkirche führt, die von Usedom bis nach Helgoland reicht. Bis zum Herbst nächsten Jahres soll darüber entschieden sein. Das Kirchenparlament der neuen Nordkirche wird sich im November 2012 auf seiner ersten Sitzung in Lübeck-Travemünde konstituieren. Dem Gremium werden künftig 156 Mitglieder angehören, die paritätisch aus allen 13 Kirchenkreisen stammen.

Für das offizielle Gründungsfest zu Pfingsten im schleswig-holsteinischen Ratzeburg unter dem Motto „Wir setzen Segel“ planen die Organisatoren einen Gottesdienst im Dom. Die ARD wird dieses Ereignis live übertragen. Im Anschluss daran sei ein Fest der Begegnung mit Vertretern aus den 13 Kirchenkreisen nd den insgesamt 1067 Gemeinden vorgesehen. Bundesweit wird die vereinigte Küstenkirche in den Blickpunkt rücken, wenn im Mai 2013 in Hamburg der Deutsche Evangelische Kirchentag stattfindet.