Von Edgar S. Hasse
Quelle: Mein Beitrag in der WELT, 5. September 2012, S. 36
http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article108993950/Havarie-Frachter-nimmt-Kurs-auf-Helgoland.html
Helgoland/Hamburg
Mit einem Tempo von vier Knoten pro Stunde wird der schwer beschädigte Frachter „MSC Flaminia“ gegenwärtig vom Atlantik in deutsche Gewässer geschleppt. Nach Angaben des Cuxhavener Havariekommandos soll das mit 2.876 Containern und ätzenden, giftigen sowie leicht brennbaren Substanzen beladene Schiff der Reederei NSB Buxtehude in der Nacht zum Sonnabend deutsche Hoheitsgewässer erreichen. Zunächst ist eine Tiefwasserreede 22 Kilometer vor Helgoland geplant, danach wird der Gefahrgutfrachter nach Wilhelmshaven geschleppt.
Rund um das Schiff soll eine Sicherheitszone von einer Seemeile eingerichtet und der Luftraum gesperrt werden. Der Aufenthalt in Wilhelmshaven wird mehrere Wochen dauern. Vor Helgoland wollen Experten des Bundes das Unglücksschiff, bei dem nach einer Explosion vor England ein Seemann ums Leben kam und ein weiterer vermisst wird, genauer untersuchen sowie Löschwasser und Betriebsstoffe abpumpen. Bei dem Brand waren etwa zwölf Millionen Liter Löschwasser in den Rumpf des Schiffes geflossen.
Riskant dürfte die Bergung der vielen Gefahrstoffe an Bord sein, darunter stark ätzende, giftige Phosphortrichloride. „Wenn bei dem Brand auf dem Atlantik tatsächlich Container mit PCB und anderen Organchlorverbindungen Feuer gefangen haben, ist mit Dioxinen an Bord zu rechnen“, sagte WWF-Meeresschutzexperte Stephan Lutter am Dienstag der „Welt“. Eine Versiegelung bzw. geordnete Sondermüllentsorgung in Wilhelmshaven sei deshalb unumgänglich.
Dioxine können schon in kleinsten Mengen für den Menschen tödlich sein.
Die Gefahren beim Abschleppen des Gefahrgut-Frachters werden von Experten hingegen als beherrschbar bewertet. Gefahrgüter auf dem im Atlantik verunglückten Containerschiff „
<<Flaminia
>>“ werden nach Einschätzung des Havariekommandos die Nordseeküste nicht bedrohen. „Die Güter, die noch an Bord sind, sind soweit sicher“, sagte Jens Rauterberg, Vize-Chef für Schadstoff-Unfallbekämpfung des Kommandos, am Dienstag in Hannover.“Bei fachgerechter Handhabung des Havaristen durch die Behörden und Bergungsexperten sowie günstigen Wetterbedingungen stellt das Schiff keine Gefahr dar - was wir alle hoffen“, versicherte auch WWF-Experte Lutter. Jedoch müsse sichergestellt werden, dass der verbliebene Treibstoff - giftiges Schweröl und Diesel - und das wahrscheinlich kontaminierte Löschwasser restlos von Bord gepumpt werden und nichts davon ins Meer gelangt. Auch Helgolands Bürgermeister Jörg Singer bewertet die geplante Tiefwasserreede zurzeit als weniger dramatisch: „Helgoland spielt in diesem Kontext eine untergeordnete Rolle, da ein Ankern der ‚MSC
<<Flaminia
>>‚ allein aus technischen Gründen wegen des Tiefgangs ausgeschlossen ist“, sagte er der „Welt“.
Unterdessen beschäftigt die Havarie des 300 Meter langen Containerschiffes auch die Politik. Nach einer nicht-öffentlichen Sitzung im Häfenausschuss des niedersächsischen Landtages hat der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Björn Thümler, gefordert, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. „Wir brauchen eine Überarbeitung der Richtlinie zur Überwachung des Seeverkehrs.“ Es sei ein Skandal, dass die EU-Mitgliedstaaten Portugal, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Niederlande und Belgien dem Havaristen jegliche Hilfe verweigert und sich nicht einmal an der Löschung des Feuers an Bord beteiligt haben, kritisierte er. Niedersachsens Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) hatte in diesem Zusammenhang die deutsche Hilfe für das im Atlantik havarierte Containerschiff „
<<Flaminia
>>“ verteidigt. „Es ist unsere Aufgabe, das Problem zu lösen und dem deutschen Reeder zu helfen“, sagte Bode in Wilhelmshaven. Er sei überzeugt, dass die Entscheidung richtig ist. „Wir haben die Technik, um es sicher für die Umwelt und die Menschen abzuwickeln.“
Deutliche Kritik äußerte unterdessen der Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag, Stefan Wenzel. „Die Bundesregierung hat handwerklich schlecht gearbeitet.
Die neuen europäischen Richtlinien versagen bei der ersten größeren Herausforderung. Sie haben aus der Flaminia über Wochen hinweg ein Geisterschiff gemacht“, sagte Wenzel der „Welt“. Künftige müsse sichergestellt werden, dass der nächstgelegene geeignete europäische Hafen Verantwortung übernimmt und die Helfer keinesfalls auf den Kosten sitzenbleiben. Fraktionsvorsitzender Wenzel setzt nun ganz auf die Fachkompetenz des Havariekommandos und die umsichtige Bergung der Gefahrgüter. „Wenn die Stoffe jedoch ins Meer gelangen würden, könnten sie die Meeresflora und Fauna stark schädigen. Aber auch zum Schutz der Bevölkerung und der Helfer muss jetzt ohne Rücksicht auf Kosten alles Notwendige getan werden.“
Rückblick: Wie das Havarie-Kommando in Cuxhaven entstand, mein Beitrag in der WELT, 8.12.2001:
Brennend trieb 1998 der Holzfrachter „Pallas“ vor der nordfriesischen Küste. Wertvolle Zeit für die Bergung verstrich, weil die Kompetenzen von Bundes- und Landesbehörden nicht geklärt waren.
Nun ist das anders: Ab jetzt ist ein Polizist Herr über die Havarien. Denn nun entscheidet Polizeioberrat Hans-Werner Monsees, zuletzt Leiter der Wasserschutzpolizei Bremerhaven, als Chef des neu zu gründenden Havariekommandos für Nord- und Ostsee, was bei schweren Schiffsunfällen alles zu tun ist. Ralf Nagel, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, führte Monsees gestern in Cuxhaven in sein Amt ein. „Mit dem Havariekommando als einheitliche Einsatzleitung für schwere Seeunfälle werden wir das Notfallmanagement entscheidend verbessern und damit eine der wichtigsten Forderungen der unabhängigen Expertenkommission ?Havarie Pallas‘ umsetzen“, betonte Nagel.
Bereits im November 2000 hatte das Bundeskabinett den ersten Bericht der Projektgruppe Maritime Notfallvorsorge debattiert, der unter anderem klare Regeln für die Koordination der Einsätze, superfeste Kunststoff-Schleppleinen und eine Überarbeitung der Alarmpläne forderte. Inzwischen verständigten sich Bund und Länder über den Aufbau einer zentralen Einsatzleitung, die als „Maritimes Lagezentrum“ mit Sitz in Cuxhaven rund um die Uhr dienstbereit sein soll. Der Leiter des Kommandos wird über weit reichende Vollmachten verfügen, kann er doch im Fall einer Schiffskatastrophe allen Bundes- und Landesbehörden Aufträge und Weisungen erteilen – das lästige Kompetenzgerangel entfällt.
Damit Bund und Länder gleichermaßen zum Zuge kommen, wird das Lagezentrum zudem paritätisch besetzt sein – mit Vertretern der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes ebenso wie mit Beamten der Wasserschutzpolizeien der Küstenländer. Zu den Aufgaben des Havariekommandos gehören beispielsweise die Schadstoff- und Schiffsbrandbekämpfung sowie die Notfall-Versorgung von Verletzten. Um die Effizienz zu erhöhen, machen auch die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) und die Bundesmarine bei der Kooperation mit. „Mit dem Aufbau des Havariekommandos bekommt die Zusammenarbeit zwischen Bund- und Küstenländern bei der maritimen Notfallvorsorge eine neue Qualität“, sagte Staatssekretär Nagel, ohne den Hinweis auf die Finanzierung der neuen Leitstelle zu vergessen. Zwar haben sich Bund und Länder über die Grundsätze der Kostenregelung geeinigt, wobei jeder beteiligte Partner seine Ausgaben selbst zu tragen hat. „Das Havariekommando kann aber erst seine Arbeit aufnehmen, wenn die Vereinbarungen mit allen fünf Küstenländern rechtswirksam abgeschlossen sind“, stellte Nagel klar. Er hoffe, dass die Parlamente rasch ihre Entscheidungen fällen.
Hans-Werner Monsees hat nun die bundesweit einmalige Aufgabe, ein rund 25-köpfiges Havariekommando für Nord- und Ostsee aufzubauen. Im Herbst nächsten Jahres, kündigte er an, werde es in vollem Umfang einsatzbereit sein. Monsees war nach einer bundesweiten Ausschreibung einstimmig von der zuständigen Bund-Länder-Kommission gewählt worden. Staatssekretär Nagel zeigte sich voll des Lobes über ihn: „Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen bei Großeinsätzen und hat sich an der Küste einen hervorragenden Ruf erworben.“