Archiv für den Monat: November 2012

Bischöfin Fehrs ein Jahr im Amt – ein Rückblick

Von Edgar S. Hasse

Mein Beitrag in der WELT, 14. November 2012,

http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article111020954/Die-Menschen-suchen-meine-Zuwendung.html

Fast jeden Morgen um sieben Uhr läuft sie um die Alster. 45 Minuten lang ist Bischöfin Kirsten Fehrs (51) mit sich und ihren Gedanken allein. Es ist ihr täglicher Lauf zu sich selbst – damit Klarheit und Energie wachsen für das, was kommt: Ein Arbeitstag von mehr als zwölf Stunden. Zwei bis drei Stunden Sitzungen pro Tag. Telefonate und öffentliche Termine. Predigten und Andachten vorbereiten, meist bis 22 Uhr. Als Letzte in der Bischofskanzlei knipst sie das Licht aus.

Seit genau einem Jahr ist die frühere Hauptpastorin und Pröpstin als Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck im Amt. Zwölf harte Monate liegen hinter ihr, die von der Aufarbeitung des Ahrensburger Missbrauchsskandals dominiert und überschattet waren. Doch nicht nur das: „Es gab natürlich noch viele andere Themen und Herausforderungen, zum Beispiel die Ausgestaltung der Nordkirche“, sagt die Nachfolgerin von Maria Jepsen. Wenn Gott eine Managerin für die großen und kleinen Krisen seiner Kirche zwischen Nord- und Ostsee braucht, dann ist sie es, diese zierlich wirkende, aber kämpferische Frau.
Regelmäßig am Donnerstag trifft sich ihr Mitarbeiterstab in der Bischofkanzlei in der Hafencity. An einem ovalen Tisch werden die Termine und Probleme besprochen. Denn wöchentlich landen viele Anfragen und Gesprächswünsche im Büro – eine Erfahrung, die ganz im Kontrast zu ihrer vorherigen Arbeit an St. Jacobi steht. Damals, erinnert sie sich, sei es nicht leicht gewesen, mit Themen wie Kirche und Wirtschaft, Kinderarmut und dem Gedenken an Kriminalitätsopfer Aufmerksamkeit zu finden.
Und jetzt, nach einem Jahr Bischöfin? Kirsten Fehrs schaut ihr Smartphone an und sagt: „Jede Woche gibt es acht bis zehn wichtige Terminwünsche.“ Da bitten Wirtschaftsvertreter um Vorträge und offizielle Grußworte. Oder Organisationen, die ihre Veranstaltung mit einer Bischöfin schmücken wollen. Da laden Kirchengemeinden zu Gottesdiensten und Festen ein. Oder da wird die Nordkirche aus der Taufe gehoben, Pfingsten 2012 im sonnigen Ratzeburg.
 
In der Donnerstagsrunde wählen sie und ihre Mitarbeiter die Termine aus. Insgesamt, sagt die Theologin, sei sie positiv davon überrascht, dass protestantische Positionen zu gesellschaftlichen Problemen so gefragt sind. Das hätte sie vorher nicht so vermutet.
„Über mein Amt bekommen die Themen plötzlich Gewicht. Und dies nicht nur aufgrund der höheren Popularität, sondern die Menschen suchen meine Zuwendung als Seelsorgerin.“
Vor allem in der Ahrensburger Kirchengemeinde, gezeichnet und gespalten vom größten Missbrauchsskandal in der nordelbischen Kirche, war die Bischöfin gefordert. Es war wie ein Gang nach Canossa, als Kirsten Fehrs im Frühjahr mit ihrem Bischofskollegen Gerhard Ulrich in der Schlosskirche den Gottesdienst feierte. Mit dieser Art der Aufarbeitung betrat die Bischöfin Neuland, denn die Methode für die Aufklärung des Systems Missbrauchs in der Kirche steht in keinem Lehrbuch. Statt wegzuschauen und eine Entschädigung zu zahlen, will Kirsten Fehrs mit der neuen Nordkirche mehr: „Zuhören, hinschauen, verstehen, in die Abgründe blicken, mitfühlen.“ Mit rund einem Dutzend Opfern hat sie in ihrem ersten Amtsjahr gesprochen. „Ich bin davon sehr berührt gewesen und habe auch wirklich Scham empfunden“, sagt sie. Rückblickend ist sie dankbar für die langen Gespräche mit den Opfern, die sich ihr geöffnet haben. „Und für die Chance, dass wir als Institution Kirche unsere Vergebungsbedürftigkeit ausdrücken können.“
 
Als schwärzester Tag im ersten Amtsjahr wird ihr allerdings jener 7. September in Erinnerung bleiben. Die Kirche hatte gerade eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt und sich mit dem Opferverein auf Unterstützungsleistungen geeinigt. Da wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen frühere leitende Kirchenleute wegen angeblicher Strafvereitelung im Amt ermittelt. Ein Vorwurf, der wenige Tage später wegen fehlender rechtlicher Grundlage zurückgenommen wurde. Was nach diesem juristischen und öffentlichen Vorgehen bleibt, ist bei ihr die bittere Erkenntnis: „Wenn Straftaten verjährt sind, bleibt auch der Kirche nur noch die präzise Aufarbeitung. Das braucht wirklich Zeit, die für die Opfer sehr belastend ist.“
Zum Glück gab es im ersten Amtsjahr viele schöne und positive Erlebnisse. Kirsten Fehrs denkt an die Gottesdienste in den Gemeinden, interessante Begegnungen, aber auch an die Kundgebung auf dem Rathausmarkt, als Hamburg aufstand gegen Rechts. Und sie unter viel Applaus ihre kämpferische Seite gegen Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit zeigen konnte.
Die kleinen Krisen managt sie dagegen zwischendurch. Wenn es mal wieder Konflikte zu schlichten gibt oder sich besorgte Bürger bei ihr melden. Manches von diesen Dingen kann Kirsten Fehrs in der Mittagszeit besprechen und delegieren, wo ein Brötchen reichen muss.
Erst am Abend wird sie zur Ruhe kommen. Dann lässt sie gemeinsam mit ihrem Mann Karsten, einem Pastor, den Tag Revue passieren. Immer häufiger geht es jetzt um den Kirchentag, der im nächsten Jahr in Hamburg stattfindet.
Das Motto „Soviel du brauchst“. Diese Vorstellung bereitet der Bischöfin ein bisschen Vergnügen: „Der Eröffnungsgottesdienst soll voraussichtlich vor der Elbphilharmonie stattfinden.“

Kokain und mehr als 20 Jahre Knast: Das Leben des „Schneekönigs“ Ronald Miehling

Quelle: mein Beitrag in der WELT am SONNTAG, 4. November 2012, Hamburg-Ausgabe
 
Ronald Miehling raucht. Der „Schneekönig“ und einst mächtigste Kokainhändler Deutschlands, steht am Hafen, die TV-Kamera zoomt, wie er das Nikotin inhaliert. Es ist kein Koks, es sind keine harten Drogen. Der 62-Jährige muss strenge Auflagen im offenen Vollzug erfüllen und genießt die kleine Freiheit genauso wie die Aufmerksamkeit des NDR-Kamerateams. Ronald Miehling wird den Filmleuten von seinen illegalen Geschäften mit Kokain erzählen. Film ab, Kamera läuft.
 
Weltweit spannte er sein kriminelles Netz. Damals, in den 90er-Jahren, als er über einen Hofstaat von 50 Leuten herrschte. Als ihm die Frauen zu Füßen lagen im Rahlstedter „Club Aphrodite“. Und er in Champagner badete. Wozu man immerhin 400 Flaschen braucht.
 
Am 7. November sendet das NDR-Fernsehen die Dokumentation „Der Schneekönig“ (24 Uhr). Eine 80 Minuten lange Alltagsskizze über die Karriere eines skrupellosen Verbrechers und nach NDR-Angaben ein „ungeschminkter Blick in das Leben eines Mannes, der von seinen kriminellen Taten keinen Abstand nimmt und nichts bereut“.
Dabei begann das Leben des Barmbeker Jung in einem gesetzestreuen Elternhaus. Schließlich arbeitete sein Vater als Bereitschaftspolizist. Aber die ganze bürgerliche Enge mit der überkorrekten Nachbarschaft – das war nichts für einen wie den jungen Miehling. Er wollte immer das ganz große Ding drehen. Und vor allem gegen Gebote, Gesetze und Konventionen verstoßen. „Ich war ein Draufgänger, ich wollte was erleben und genau das machen, von dem alle sagen: Du, du, du, das darfst du aber nicht.“
Er tat es dennoch. Wurde Zuhälter und machte wenig später etwas mit Drogen. Jahrelang. „Von allen illegalen Geschäften brachte Koks das meiste Geld“, sagt der Mann, den sie noch heute „Blacky“ nennen. In den 80er- und 90er-Jahren kommt sein kriminelles Geschäftsmodell vollends zur vollen Blüte. Warum auch viel arbeiten, wenn man mit einem Gramm Koks 100 Mark verdienen kann? Und ein bisschen gestreckt, lässt sich aus dem Zeug noch mehr herausholen. „Ich bin kriminell geworden, weil ich es so wollte, weil ich ein Abenteuer gesucht habe.“ Er reiste nach Amsterdam, nahm erste Kontakte auf und flog nach Kolumbien. Dort spannte der Hamburger sein enges Netz von Kontakten zu Dealern, Bankräubern, Zuhältern.
 
Mehr als ein Tonne Kokain lässt er insgesamt nach Deutschland schmuggeln. Die narzistische Hamburger Schickeria kaufte gerne seine Ware ab. Koks, bekennt der Miehling-Biograf Helge Timmerberg, „dreht alles und alle um – Freunde zu Vampiren, Sex zu Sado/Maso, Dialoge zu Monologen, Engagement zu Heuchelei“. Vor allem aber ist das Ganze verboten, doch einer wie Miehling schert sich nicht darum.
Lange Zeit versuchte die Polizei, dieses Drogenkartell zu sprengen. Bis es den Beamten 1994 gelang, den Kokainhändler in Venezuela festzunehmen. Was danach folgte, entstammt nicht dem Drehbuch des Drogenkönigs. Jetzt gab der Rechtsstaat vor, was zu tun ist: Nach seiner Auslieferung nach Deutschland wurde er zu mehr als zwölf Jahren Haft verurteilt. Santa Fu und keine schnellen Autos mehr. Hinter Gittern nutzte Miehling die Zeit zum Nachdenken, an dessen Ende eine Art Autobiografie stand. Redigiert und in lesbare Form gegossen, erschien sie in mehreren Auflagen im Jahr 2004. Ebenso ehrlich wie provozierend beschreiben Miehling und Co-Autor Timmerberg im Rückblick jenes Leben zwischen Korruption, Drogengeld, Plastiktüten und Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Bis die Polizei diesem Kriminellen das Handwerk legt.
Der NDR-Film hat für das Psychogramm bewusst die Täterperspektive gewählt. Dabei bestand die Gefahr gerade darin, diese kriminelle Karriere zu überhöhen. „Doch wir haben darauf geachtet, nicht die Neutralität zu verlieren“, sagt Co-Autor Johannes Edelhoff. Denn es hätte im extremen Fall daraus eine Heldensaga werden können. Oder lediglich ein Polizeibericht, eine Akte. „All das aber wollten wir nicht.“
So ist aus den Gesprächen mit dem Täter ein sehr wechselhafter Film geworden, eine Alltagsskizze, gezeichnet von den Abgründen menschlicher Existenz. Insgesamt mehr als 20 Jahre hat der Mann, der sich selbst zum Gesetz erklärte, hinter Gittern verbracht. Zwar war er 2003 vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Doch einer wie der „Schneekönig“ konnte gar nicht anders, als wieder rückfällig zu werden. 2005 wurde Miehling erneut wegen Kokainhandels im großen Stil in Bramfeld verhaftet. Es ging um insgesamt 50 Kilo Rauschgift im Einkaufswert auf dem Drogenmarkt von 1,25 Millionen Euro. Der Staatsanwalt warf dem Angeklagten sechs Fälle vor. Unter seiner Regie soll der Stoff von einem Lieferanten aus Kolumbien per Schiff nach Antwerpen und danach über Kuriere weiter verkauft worden sein. Das Landgericht verurteilte den Drahtzieher zu sieben Jahren und neun Monaten Haft. Außerdem muss er eine Reststrafe verbüßen.
Ein Jahr lang haben die NDR-Autoren Johannes Edelhoff und Timo Großpietsch den Ex-Drogenboss begleitet. Wie er von Santa Fu aus jeden Tag widerwillig einer Arbeitsmaßnahme nachgeht. Wie er auf seinen Freigängen alte kriminelle Freunde trifft. Und wie er sich auf ein Leben nach dem Gefängnis vorbereitet.
Gibt es das überhaupt, ein Leben nach Gesetz und Ordnung? Aber in einem Alter wie in seinem denkt selbst der härteste Drogenboss schon mal über den Sinn des Ganzen nach. Noch einmal straffällig werden darf er nicht. Das weiß er. Sonst müsste er für den Rest seines Lebens in den Knast.
Vielleicht schwindet mit zunehmenden Jahren seine Lust auf Abenteuer, Gesetze zu brechen und das ganz große Ding zu drehen. Und vielleicht hat jener chinesische Astrologe Recht, der dem „Schneekönig“ ein angenehmes Ende in warmen Gefilden vorausgesagt hat. Er würde, glaubt Miehling fest, eines Tages unter Palmen sterben.