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„Im Polizeigriff ins Flugzeug“ – Humanitärer Bericht über die Abschiebepraxis am Hamburger Flughafen

Von Edgar S. Hasse

(Quelle: WELT; 16.8.2011)

Ein Iraner sollte im vergangenen Jahr vom Hamburger Flughafen aus in seine Heimat abgeschoben werden. Es war bereits der zweite Versuch, denn beim ersten Mal hatte er Widerstand geleistet. Nun aber machte der Mann den Eindruck, als stehe er unter Drogeneinfluss. Einer der Beamten sagte laut: „Wenn er nicht will – ich kenne Griffe, die tun richtig weh. Und dann klappt das schon.“ Wenig später brachte jener Beamte diesen Flüchtling ins Flugzeug – „im Polizeigriff“, wie es hieß.

Diese Szene schildert der jetzt veröffentlichte Bericht der Abschiebungsbeobachtung am Hamburger Flughafen für das Jahr 2010. Darin beurteilt zum ersten Mal das Forum Flughafen Hamburg aus humanitärer Perspektive die realen Abläufe der Abschiebepraxis auf dem Airport. Das Gremium aus Nichtregierungsorganisationen und Kirchen hat die Aufgabe, eventuellen Verstößen gegen Menschenrechte nachzugehen und Verbesserungen im Gesamtverfahren herzustellen. Das Fazit für 2010: Trotz einer konstruktiven Zusammenarbeit mit Bundespolizei und Behörden gebe es „immer wieder Probleme und menschliche Härten“. Verfasserin des Berichts ist die Sozialpädagogin Astrid Schukat, die im Auftrag der Nordelbischen Kirche seit Anfang 2010 als Abschiebungsbeobachterin am Flughafen Hamburg tätig ist.

Wie aus dem Monitoring hervorgeht, wurden im vergangenen Jahr 762 Flüchtlinge über den Hamburger Flughafen aus Deutschland in ihre Heimat oder in jenen EU-Staat zurückgeführt, in den sie zuerst gekommen waren (Dublin-II-Rückschiebungen). Insgesamt hat Beobachterin Schukat 322 Abschiebungen begleitet, von denen die meisten in den frühen Morgenstunden stattfanden. Alle Fälle hat sie akribisch dokumentiert – darunter auch jenen: Ein afghanischer Staatsbürger sollte nach Athen überstellt werden. Die Beamten überreichen ihm den Bescheid über diese Maßnahme, der allerdings keine Übersetzung in eine ihm bekannte Sprache enthält. Als ihm schließlich klar wird, dass er nach Griechenland zurückgeschoben werden soll, fängt er an zu zittern, zeigt seine Ekzeme an Händen und Beinen. Schließlich bricht der leitende Beamte der Bundespolizei die Maßnahme vor Ort ab. Drei Tage später wird der Afghane an Händen und Füßen gefesselt erneut in das Flughafengebäude getragen. „Er ist barfuß. Er zittert am ganzen Körper, er hat die Augen geschlossen“, heißt es in dem Bericht.

Als er auf dem Durchsuchungsraum auf dem Fußboden liegen bleibt und sich nicht rührt, bricht die Bundespolizei die Maßnahme ab. Dieser passive Widerstand war übrigens kein Einzelfall: Im vergangenen Jahr gab es zehn Versuche, Menschen vom Hamburger Flughafen aus nach Griechenland abzuschieben. Vergeblich. Alle Versuche scheiterten am passiven Widerstand der Betroffenen. Bundesweit wurden im vergangenen Jahr 6907 Menschen auf dem Luftweg aus Deutschland abgeschoben. In Hamburg scheiterten insgesamt elf solcher Rückführungen wegen passiven oder aktiven Widerstands. Mehr noch: Sieben weitere Maßnahmen wurden nicht vollzogen, weil die Flugzeugführer sich weigerten, diese Passagiere mitzunehmen. Wie der Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, Jörg Handwerg, auf „Welt“-Anfrage bestätigte, kommt es in Einzelfällen durchaus vor, dass die Piloten eine Mitnahme der abzuschiebenden Migranten ablehnen. „Das liegt immer in der Einschätzung der Flugkapitäne. Sie sind nicht verpflichtet, Menschen mitzunehmen, die sich gegen ihre Abschiebung wehren und für andere Passagiere und den gesamten Flug eine Gefahr darstellen können“, sagt Handwerg.

In einer Stellungnahme kritisiert die Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche, Fanny Dethloff, zudem, dass Menschen „mittellos“ an den Flughafen gebracht würden und nicht wüssten, wie sie vom Zielflughafen an ihren tatsächlichen Bestimmungsort gelangen könnten. Außerdem sollten sie die Möglichkeit haben, vor Ort mit ihren Angehörigen zu telefonieren. Das Forum Flughafen, zu dem Vertreter der Kirchen, von Amnesty International, Pro Asyl, der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen sowie staatliche Akteure gehören, schlägt deshalb vor, die Abzuschiebenden mit Handgeld auszustatten. So ist es im Saarland gängige Praxis, Erwachsene und Jugendliche mit jeweils 50 Euro, Kinder bis zum Alter von zwölf Jahren mit 25 und Familien mit maximal 150 Euro auszustatten. Eine Sprecherin der Hamburger Innenbehörde sagte unterdessen der „Welt“, dass eine generelle Regelung dafür in Hamburg nicht erforderlich sei. „Wir zahlen Handgeld in Einzelfällen und klären im Gespräch mit den Betroffenen, wie hoch der Bedarf etwa für Reisekosten sein könnte.“ Das Geld werde von der Bundespolizei verauslagt und schließlich von der Ausländerbehörde erstattet. Zu den weiteren Forderungen im Abschiebungsmonitoring zählen Schulungen für Beamte und eine bessere Information für die Betroffenen. Die Tatsache, dass die Dublin-II-Bescheide spät und nicht übersetzt zugestellt werden, sei nicht nur in Hamburg so, kritisiert der Bericht. Das System der humanitären Überwachung von Flüchtlingen ist nicht nur in Hamburg, sondern auch auf den Flughäfen Düsseldorf und Frankfurt am Main etabliert. Die Hamburger Vertreter sprechen sich nun dafür aus, dieses humanitäre Projekt fortzuführen.