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250 Jahre Hamburger Michel: „Danke, sei gesegnet“

Von Edgar S. Hasse

(Quelle: WELT Hamburg, 22. Oktober 2012)

Fast auf den Tag genau vor 250 Jahren mussten die Stadtväter am 19. Oktober 1762 zur Einweihung der Hauptkirche St. Michaelis wegen des großen Besucherandrangs öffentliche Verhaltensregeln erlassen. Neben der „Notification, wie diejenigen, so der Einweihung der grossen St. Michaeliskirche beywohnen wollen, sich dabey zu verhalten haben“ auch eine „Kutschenparkordnung“.

Derlei erwies sich zum Festgottesdienst am vergangenen Sonntag (21. Oktober 2012) als überflüssig, denn das Interesse der Hamburger am 250. Gedenktag der Kirchweihe hielt sich angesichts des sonnigen Herbstwetters eher in Grenzen. Längst waren nicht alle Sitze der 2500 Plätze umfassenden barocken Kirche besetzt. Als der Chor dann den Gottesdienst mit dem Vers „Komm wieder, Herr, zu der Menge der Tausenden in Israel“ musikalisch eröffnete, klang das eher als Verheißung denn als Realität. Allerdings waren etliche prominente Persönlichkeiten unter den Besuchern, darunter der Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft, Frank Schira (CDU), Justizsenatorin Jana Schiedeck (SPD), die frühere NDR-Landesfunkhauschefin Maria von Welser und die Ehrenbürger Hannelore und Helmut Greve.Bischöfin Kirsten Fehrs würdigte den als einen Gottes-Raum, in dem die Bäckerinnung genauso ihr geistliches Zuhause findet wie Banker und Touristen.

 In den vergangenen 250 Jahren hätten viele Menschen ihren Schmerz hierher getragen, sagte die Bischöfin für den Sprengel Hamburg und Lübeck in ihrer Predigt. „Dann und wann mag Gott sich selbst neben sie auf die Kirchenbank gesetzt haben. Und wie viele haben hier ihre Seligkeit über die gesunde Geburt ihres Kindes, über die Liebe ihres Lebens, über ihre beruflichen Erfolge zum Ausdruck bringen können.“Die Bischöfin rief die Christen dazu auf, der Botschaft von der Liebe Gottes in der Gesellschaft Gehör zu verschaffen, denn der Glaube sprenge die „private Überschaubarkeit“. Vor allem aber dankte sie den vielen Mitarbeitenden und Unterstützern, die kirchliches Leben in diesem Hamburger Wahrzeichen ermöglichen. „Der ist ein Ort der Liebe, der das Schwere überwinden hilft. Gott selbst nimmt uns hier mit Freuden auf. Danke, mein Michel, sei gesegnet.“ Festlich umrahmt wurde der Gottesdienst mit der Aufführung jener Kantate von Georg Philipp Telemann, die bei der Kirchweihe unter dem Titel „Oratorium zur Einweyhung der neuen St. Michaeliskirche“ erklang. Der 81-jährige Telemann, ehedem Musikdirektor der fünf Hamburger Hauptkirchen, hatte die Uraufführung selbst dirigiert. Es sollte der letzte öffentliche Auftritt vor seinem Tode im Jahr 1767 sein. Die Jubiläumsaufführung am Sonntag stand unter der Leitung von Kirchenmusikdirektor Christoph Schoener.Noch bis zum Reformationsfest am 31. Oktober feiert der Michel sein 250-jähriges Bestehen .

An diesem Montag (22. Oktober)  steht im Rahmen der Festwoche ein Vortrag von Professorin Ruth Albrecht, Institut für Kirchen- und Dogmengeschichte der Universität Hamburg, auf dem Programm. Sie spricht über das Thema „Der Michel, die Stadt und die Menschen – Rückblicke auf Glauben und Leben in der Zeit von 1762 bis 2012“. Franz Schuberts As-Dur-Messe und ein Orgelkonzert komplettieren die kulturellen Angebote während der Festwoche.Neben der Dresdner Frauenkirche ist der Hamburger Michel die zweite große Barockkirche des Protestantismus in Deutschland. Um 1600 war die Kirche noch eine kleine Kapelle. Nachdem ein Brand im Jahr 1750 den Vorgängerbau zerstört hatte, wurde der Neubau mit dem markanten barocken Kirchenschiff nach einer Bauzeit von zwölf Jahren 1762 eingeweiht. Der Turm kam allerdings erst 1786 dazu. Er ist mit 132 Metern der zweithöchste in Hamburg. Und die Turmuhr ist mit einem Durchmesser von acht Metern die größte in ganz Deutschland. Die Hauptkirche gilt als der schönste Barockbau in Norddeutschland.

 

Zur Wiedereröffnung des renovierten Michel 2009:

WELT-Online, 25.10.2009

http://www.welt.de/regionales/hamburg/article4971393/So-schoen-ist-der-neue-Michel.html

Edgar S. Hasse

Wer jetzt den Innenraum des Hamburger Michel betritt, sieht strahlendes Weiß. Das ganze Kirchenschiff ist eine einzige Sinfonie aus Helligkeit. Es glänzt das Blattgold, und das gesamte Kirchenschiff atmet eine Weite, die direkt in den Himmel zu führen scheint. Selbst die alten Kirchenbänke wurden erneuert und aufpoliert und warten nun auf die ersten Gottesdienstbesucher.

Nach 22 Monaten Sanierungs- und Rekonstruktionsarbeiten wird die Hamburger Hauptkirche St. Michaelis am kommenden Sonnabend feierlich wieder in den Dienst gestellt. Nachdem die Gemeinde monatelang in der Krypta ihre Gottesdienste feiern musste, nimmt sie am 31. Oktober Besitz von Norddeutschlands schönster und imposantester Barockkirche.

Der Tag hätte nicht besser gewählt werden können, denn der 31. Oktober erinnert an den Beginn der Reformation Martin Luthers. „Größere Bauarbeiten am Michel werden erst in 60 Jahren notwendig sein. Und das neue Dach hält bestimmt 100 Jahre“, verspricht Projektsteuerer Gernot Schindler von der Sellhorn-Ingenieur-Gesellschaft.

Der Michel gilt als einer der bedeutendsten deutschen Barockbauten des Protestantismus. Um 1600 war die Kirche zunächst eine kleine Kapelle. Der Entwurf für den heutigen Bau stammt von 1750. Im Jahre 1906 durch ein Feuer zerstört und im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, wurde die Kirche bis 1952 wieder aufgebaut.

In mehreren Etappen musste der Michel in den zurückliegenden Monaten saniert werden. Denn es zeigten sich erste Risse im Mauerwerk und erhebliche Probleme mit dem Kupferdach. Es bestand die Gefahr, dass sich einzelne Dachplatten beim Sturm hätten lösen können. Also entschied sich der Kirchenvorstand im vergangenen Jahr, den Innenraum für Besucher und Gottesdienste zu sperren und eine der umfangreichsten Sanierungsarbeiten in der Geschichte des Michels zu starten.

Die Ergebnisse können sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen: Auf dem Norddach, das 2008 erneuert wurde, und auf dem Süddach glänzt jetzt frisches Kupfer. „Erst in 15 bis 20 Jahren dürfte es wohl komplett Patina angesetzt haben“, sagt Bauexperte Schindler. Insgesamt wurden auf einer Fläche von 2280 Quadratmetern 45 Tonnen Kupfer verarbeitet. Sie sind ein Geschenk der Aurubis AG (ehemalige Norddeutsche Affinerie). Um möglichst umweltschonend zu arbeiten, wurden die alten Platten recycelt und auf diese Weise wieder verwendet. Mehr noch: Statt Bimsbeton wie beim früheren Dachaufbau haben die Handwerker jetzt Mahagoni verwendet. „Das wird lange halten“, sagt Schindler.

Insgesamt waren in 22 Monaten rund 400 Handwerker im Einsatz. Allein die Maler brachten sechs Tonnen weiße Farbe aus, damit der Innenraum so rein und klar strahlt, wie ihn jetzt die Besucher in Augenschein nehmen können. Darüber hinaus wurden kilometerlang Elektrokabel verlegt, eine neue Bankheizung installiert, eine andere Technik für die Versorgung durch Fernwärme gewählt.

Vor allem für Michel-Küster Tobias Jahn bedeuten die Neuerungen eine Erleichterung der Arbeitsabläufe. „Auch wenn ich erst mal einen IT-Kurs belegen musste“, sagt er und lacht. Per PC-Taste steuert er nunmehr zum Beispiel die Luftfeuchtigkeit auf ideale 35 Prozent und die Raumtemperatur auf komfortable 16 bis 18 Grad.

Vor allem die Liebhaber der Kirchenmusik dürfen sich über den neuen Michel freuen. So erklingt am Reformationstag um 18 Uhr zum ersten Mal nach der Renovierungspause wieder das zweite große Orgelwerk, die sogenannte Konzertorgel auf der Seitenempore. Die größte Überraschung wird zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg das Fernwerk sein. Es ist mit seinen 1222 Pfeifen auf dem Dachboden, hinter der Steinmeyer-Orgel versteckt, komplett neu entstanden. Eine musikalische Funktion dieses Instruments, das von einem Manual zentral gesteuert wird, ist die Klangverzögerung mit einer sechstel Sekunde.

Dieses Phänomen ermöglicht ein meterlanger und -hoher Schallkanal, der von dem Fernwerk bis zu einer Öffnung in der Mitte der Decke über dem Kirchenschiff führt. Diese Öffnung wird Schallloch genannt und war bislang verschlossen. Doch nun kann das vergitterte Schallloch jeder Michel-Besucher sehen, sofern er seinen Kopf nach oben reckt. Nur wenige Gotteshäuser in Europa verfügen über ein derart perfektes Fernwerk-System. Mit dieser Neuerung hinter der historischen Steinmeyer-Orgel verfügt der Michel über drei „Königinnen der Instrumente“. Nächstes Jahr soll im Übrigen die vierte Orgel eingebaut werden. Damit kann die erfolgreiche Kirchenmusik ihr Programm weiter ausbauen.

Um die Sanierung finanziell zu ermöglichen, wurde die Aktion „Michel, Mein Michel“ ins Leben gerufen. Doch die größte Summe stammt von der G. und L. Powalla Bunny’s Stiftung. „Ihr und der Aurubis AG gebührt unser großer Dank“, sagt Michel-Hauptpastor Alexander Röder.

12,7 Millionen Euro hat die Sanierung gekostet. „Diese Summe ist gedeckt“, weiß Bauexperte Schindler. Leider erlebt Stifterin Lieselotte Powalla die feierliche Ein-?weihung nicht mehr, denn sie verstarb im April im Alter von 86 Jahren. Der große Festgottesdienst mit den Sponsoren und Bürgermeister Ole von Beust (CDU) ist für den ersten Advent am 29. November geplant.

Das strahlend schöne und nun wieder zugängliche Gotteshaus wird in den nächsten Wochen viele Besucher anlocken. Denn schon jetzt war es nach der Dresdner Frauenkirche die am häufigsten besuchte evangelische Kirche in Deutschland und der Schweiz. Während die erst 2005 wieder aufgebaute Frauenkirche 1,5 Millionen Besucher pro Jahr zählt, sind es im Michel immerhin 1,1 Millionen.