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Ärztekammer-Chef Montgomery warnt vor religiös motivierten Beschneidungen

Quelle: Mein Beitrag WELT-Online,

http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article108126697/Kammer-Chef-warnt-Aerzte-vor-religioesen-Beschneidungen.html

 

09.07.2012

Der Präsident der Hamburger Ärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hat den Medizinern empfohlen, religiös begründete Beschneidungen von Jungen gegenwärtig nicht mehr vorzunehmen. „Wir raten allen Ärztinnen und Ärzten, wegen der unklaren Rechtslage den Eingriff nicht durchzuführen“, sagte Montgomery am Wochenende der „Welt“. Wie viele Hamburger Ärzte noch immer Zirkumzisionen vollziehen, sei allerdings nicht bekannt, betonte Montgomery, der zugleich Präsident der Bundesärztekammer ist. Seit dem Kölner Beschneidungsurteil geht die Debatte über die rechtlichen Auswirkungen weiter. Das Landgericht hatte die Beschneidung eines muslimischen Jungen als Körperverletzung gewertet, weil ein medizinisch nicht notwendiger Eingriff nicht dem Kindeswohl entspreche. Nach Montgomerys Ansicht ist das Urteil des Kölner Landgerichts für „Ärzte unbefriedigend und für die betroffenen Kinder sogar gefährlich“. Denn nun bestehe die große Gefahr, dass dieser Eingriff von Laien vorgenommen werde.

„Allein schon wegen der oft unzureichenden hygienischen Umstände kann das zu erheblichen Komplikationen führen“, so der Ärztekammer-Chef. Die Richter werteten das Recht auf körperlicher Unversehrtheit höher als die Religionsfreiheit der Eltern. Frank Ulrich Montgomery: „Es bleibt zu hoffen, dass die diesbezüglich notwendige Kultursensibilität letztinstanzlich Berücksichtigung findet.“

Der Hamburger Urologe und frühere Präsident des Berufsverbandes Deutscher Urologen, Martin Bloch, hatte bereits einige Monate vor Verkündung des Kölner Urteils in einem Fachmagazin festgestellt: „Die rituelle Zirkumzision wird … nicht nur für die Eltern des Kindes, sondern bis zu einem gewissen Grad auch für den Arzt zur Gewissensfrage.“

Doch nach dem Urteil ist aus der bloßen Gewissensfrage eine potenzielle Straftat geworden. Nicht nur die Hamburger Islam-Professorin Katajun Amirpur sagt über das Urteil: „Jeder Mediziner, der eine Beschneidung vornimmt, macht sich strafbar und kann angezeigt werden.“

Auch die Deutsche Gesellschaft für Urologie betonte deshalb ausdrücklich, sie könne derzeit keine Garantie dafür geben, „dass rituelle Beschneidungen strafrechtlich unproblematisch“ seien. Im Ergebnis schaffe das Urteil gegenwärtig eine Situation, in der Urologen bis zur weiteren Klärung der Rechtslage lediglich Zirkumzisionen mit medizinischer Indikation rechtssicher durchführen können, heißt es bei der Deutschen Gesellschaft für Urologie.

Unterdessen dauern Empörung und Unverständnis bei Juden und Muslimen auch in Hamburg an. Ulrich Lohse, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde, sagte, die Beschneidung als religiöser Akt sei für Juden „eine nicht verhandelbare Größe“. Das Urteil sei vielmehr ein „bedrückendes Zeichen“ für die galoppierende Entfremdung zwischen gesellschaftlichen und religiösen Wertvorstellungen. Lohse bezeichnete die Entscheidung der Richter als „extreme Säkularisierung unter dem Deckmantel einer falsch verstandenen Freiheit“.

Mit scharfer Kritik reagierten die Muslime. Der Verband der Islamischen Kulturzentren forderte gemeinsam mit anderen muslimischen Institutionen Bundestag und Politik dazu auf, eine gesetzlich geschützte Regelung für die Beschneidung von Jungen zu erlassen, weil das Urteil einen ernst zu nehmenden Eingriff in die Religionsfreiheit darstelle. „Das Urteil verachtet die Religionsfreiheit und nimmt keinerlei Rücksicht auf die seit Jahrtausenden weltweit durchgeführte rituelle Praxis in unterschiedlichen Religionen.“ Zudem werde die Diskriminierung gefördert.

Die Islam-Professorin Katajun Amirpur von der Akademie der Weltregionen in Hamburg sagte der „Welt“: „Sollte diese Rechtsprechung nicht durch ein umfassendes Gesetz ersetzt werden, das dieses Urteil aufhebt, hätte man hiermit erklärt: Muslime und Juden sind in Deutschland nicht erwünscht.“ Das könne Deutschland doch ernsthaft nicht wollen.