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Deutschlands einziger gehörloser Professor – Neuer Studiengang Gebärdensprachdolmetscher

Quelle: Mein Beitrag in der Welt am Sonntag, 17. April 2011

Christian Rathmann ist Deutschlands einziger gehörloser Professor. Jetzt hat er Absolventen der Uni Hamburg erfolgreich zum Abschluss als Gebärdensprachdolmetscher geführt

Professor Christian Rathmann, 40, ist ein Mann mit wachen Augen und ein Meister der subtilen Mimik und Gestik. Vor allem aber ist er Deutschlands einziger gehörloser Hochschullehrer. Der von Geburt an taube Wissenschaftler leitet das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser an der Universität Hamburg, das am gestrigen Sonnabend in besonderer Weise im Blickpunkt universitärer Öffentlichkeit stand: Zum ersten Mal wurden dort Absolventen eines bundesweit einzigen weiterbildenden Studiengangs verabschiedet. Die 16 Teilnehmer haben dank der Vorlesungen und Seminare von Christian Rathmann das methodische und praktische Instrumentarium gelernt, zum Beispiel zwischen der deutschen und einer anderen Gebärdensprache zu dolmetschen. Damit können sie jenen 80 000 Menschen in Deutschland im Bedarfsfall dolmetschend zur Seite stehen, die völlig taub sind und einen fremdsprachigen Tauben treffen.

Christian Rathmann sitzt in seinem Büro in der Nähe der Rotenbaumchaussee. Ihm zur Seite steht seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Michaela Matthaei. Während der Professor beginnt, mit den sinnvoll angeordneten Bewegungen seiner Hände, Finger, seines Mundes und der Mimik zu kommunizieren, übersetzt sie diese deutsche Gebärdensprache in hörbare Worte. Sie sehen dabei einander in die Augen, auf den Mund – es ist eine sehr direkte Kommunikation von Angesicht zu Angesicht, vermittelt durch das Medium vor allem der Hände.

Dass ein solcher Weiterbildungsgang für taube Gebärdensprachdolmetscher überhaupt notwendig wurde, demonstriert Professor Christian Rathmann mit einem Vergleich zwischen der russischen und deutschen Gebärdensprache – es herrscht nämlich gleichsam babylonische Sprachverwirrung. Weltweit gibt es mindestens 140 Gebärdensprachen. In jedem europäischen Land hat sich eine eigene, landestypische visuelle Sprache entwickelt – in Spanien sogar zwei. Wer im Russischen das Wort „Danke“ ausdrücken will, ballt die Hand zur Faust und weist damit zügig von der Stirn zum Kinn. Im Deutschen dagegen ist es eher eine sanfte Bewegung der Hand weg vom Mund.

Oder das Wort für „Vater“: In der amerikanischen Gebärdensprache bedeutet das ein gespreiztes Handzeichen an der Stirn (abgebildetes Foto), in der britischen Gebärdensprache dagegen werden jeweils zwei Finger der rechten und linken Hand aufeinander gelegt.

Damit die Teilnehmer nun die Methoden des Gebärdendolmetschens beherrschen, wurden sie interdisziplinär geschult: „Wir haben an unserem Institut verschiedene Module für den Studiengang entwickelt“, sagt Professor Rathmann, der einst im thüringischen Erfurt eine Gehörlosenschule besucht hat. Da ging es zum Beispiel um Gedächtnistraining für Dolmetscher, Linguistik und die Bildhaftigkeit von Sprache – und nicht zuletzt auch um die Berufs- und Ehrenordnung für taube Gebärdensprachdolmetscher.

Mit dieser Ausbildung und dem erfolgreichen Abschluss der Prüfung in der Tasche, können Absolventen nun bei internationalen Kongressen, vor Gerichten und bei Behördengängen zum Einsatz kommen. „Sie können sich für die staatliche Prüfung zum Gebärdensprachdolmetscher anmelden“, sagt Professor Rathmann. So seien die Absolventen mit deutscher, russischer und türkischer Gebärdensprache als Muttersprache in der Lage, zwischen der deutschen und einer anderen Gebärdensprache sowie zwischen der deutschen Schriftsprache und der deutschen Gebärdensprache professionell zu dolmetschen.

Die jungen Leute freuen sich über die neue Qualifikation, die sie am Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser erworben haben. „Ich habe sehr viel dazu gelernt“, sagt etwa Rafael-Evitan Grombelka, der internationale, litauische, polnische und russische Gebärdensprache beherrscht. Zum Beispiel wisse er nun besser, wie er sich gegenüber hörenden Dolmetscherkollegen und gehörlosen Kunden zu verhalten habe. Für die Zukunft wünscht er sich, dass es mehr Gebärdensprachdolmetscher gibt und dies auch in der Gehörlosengemeinschaft und bei den Hörenden bekannter werde.

Christian Rathmann ist selbst ein gutes Beispiel dafür, dass man sein Schicksal mit Erfolg meistern kann. Nach dem Studium in Hamburg forschte er elf Jahre lang in den USA und wurde an der University of Texas promoviert. In seiner Dissertation beschäftigte er sich mit der Eventkultur in der amerikanischen Gebärdensprache. Seit 2008 arbeitet er nun als Hochschullehrer an der Uni Hamburg – als Nachfolger des Institutsgründers für Deutsche Gebärdensprache, Siegmund Prillwitz.

Die neuen Medien, sagt der Wissenschaftler, seien für die tauben und hörbehinderten Menschen geradezu „ein Segen“. So gibt es inzwischen Kinderbücher, die per Visualisierung in die Gebärdensprache übersetzt wurden. So sehr die Digitalisierung der Medienwelt insgesamt vorangeschritten ist – in den USA, sagt er, sei man da jedoch viel weiter als hierzulande. Optimierungsbedarf sieht Rathmann etwa bei der Videotelefonie, die in den USA längst völlig normal, in Deutschland aber immer noch sehr wenig verbreitet ist. Auch wünscht er sich im deutschen Fernsehen noch viel mehr Untertitel. „Nach meiner Wahrnehmung gibt es momentan zu wenige Angebote.“