Schlagwort-Archive: Gritt Klinkhammer

Mehr Rechte für muslimische Religionsgemeinschaften: Vertragsentwurf in Hamburg vor Abschluss

Quelle: Mein Beitrag in der WELT,  http://www.welt.de/regionales/hamburg/article107301960/Muslime-sollen-an-Schulen-Religion-unterrichten.html

Religionswissenschaftliches Gutachten bringt Fortschritt bei Verhandlungen zwischen der Hansestadt Hambug und muslimischen Verbänden „Auf dieser Basis werden wir die Verhandlungen zügig zu Ende bringen“, sagt der Chef der Senatskanzlei, Christoph Krupp. Intensiv diskutierter Gegenstand des Vertrages ist die Regelung des Religionsunterrichts

Von Edgar S. Hasse

Die Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten der 130.000 Muslime und Aleviten in Hamburg sollen künftig mehr Rechte erhalten. Ziel ist ein Vertrag der Han­se­stadt mit drei mus­li­mi­schen Verbänden sowie der ale­vi­ti­schen Ge­mein­schaft, der unter anderem den Re­li­gi­ons­un­ter­richt, den Mo­schee­bau und die Mit­glied­schaft in Rund­fun­krä­ten regeln soll. Recht­li­ches Vorbild sind die ent­spre­chen­den Verträge der Han­se­stadt mit der evan­ge­li­schen Kirche sowie mit dem Vatikan. Wie es im Senat heißt, müssen nun die Bür­ger­schafts­frak­tio­nen über die konkreten in­halt­li­chen Ver­ein­ba­run­gen in­for­miert werden, bevor danach die Dis­kus­sion über den Ver­trag­s­ent­wurf mit end­gül­ti­gem Beschluss in der Bür­ger­schaft folgt. Christoph Krupp (SPD), Chef der Se­nats­kanz­lei, zeigt sich op­ti­mis­tisch: „Mit dem neuen re­li­gi­ons­wis­sen­schaft­li­chen Gutachten ist an­er­kannt, dass unsere Ver­trags­part­ner Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten im vollsten Sinne sind“, sagte er am 28. Juni 2012. „Auf dieser Basis werden wir die Ver­hand­lun­gen zügig zu Ende bringen.“ Im Jahr 2007 hatte der damalige Erste Bür­ger­meis­ter Ole von Beust (CDU) einen Staats­ver­trag mit den Muslimen angeregt und damit bun­des­weit für Aufsehen gesorgt. Denn bislang gibt es eine solche Ver­ein­ba­rung in noch keinem Bun­des­land. Aus diesem Grunde dauerten die Gespräche länger als erwartet, weil immer wieder neue recht­li­che Fragen zu prüfen waren.

Als notwendig erwies sich die Klärung, ob ins­be­son­dere die drei mus­li­mi­schen Verbände und Ver­hand­lungs­part­ner tat­säch­lich eine Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft sind -​ oder eben nicht nur eine In­ter­es­sen­ver­tre­tung und Or­ga­ni­sa­tion. Im März 2011 war das Gutachten des Erlanger Kir­chen­recht­lers Heinrich de Wall zu dem Ergebnis gekommen, dass zwar die Satzungen die Kon­se­quenz na­he­le­gen, die Verbände seien Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten. „Die bloße Auf­zäh­lung für die Identität we­sent­li­cher Aufgaben in einer Satzung lässt al­ler­dings noch nicht den Schluss auf die Re­li­gi­ons­ge­mein­schafts­ei­gen­schaft zu. Vielmehr müssen solche Aufgaben auch tat­säch­lich erfüllt werden.“ In­zwi­schen hat ein weiteres Gutachten geklärt, dass es sich beim Verband der Is­la­mi­schen Kul­tur­zen­tren e. V., dem Di­tib-​Lan­des­ver­band Hamburg sowie die Schura -​ Rat der is­la­mi­schen Ge­mein­schaf­ten in Hamburg e. V. tat­säch­lich, im prak­ti­schen Vollzug und „äußerem Er­schei­nungs­bild“ um Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten handelt. Erstellt wurde das re­li­gi­ons­wis­sen­schaft­li­che Gutachten von der Bremer Re­li­gi­ons­wis­sen­schaft­le­rin Prof. Gritt Klink­ham­mer.

In dem Papier, das der „Welt“ vorliegt, heißt es: „Aufgrund dieser in­ten­si­ven, wenn­gleich stich­pro­ben­ar­ti­gen Aus­wer­tung der re­li­gi­ösen Praxis und ihres re­li­gi­ösen Gehalts kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass es sich bei den drei is­la­mi­schen Verbänden … um Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten handelt, die der ‚um­fas­sen­den Re­li­gi­ons­pfle­ge‘ dienen.“ Für die Be­ur­tei­lung der Ei­gen­schaft als Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft wurden vor Ort Kon­sul­ta­tio­nen in Mit­glieds­mo­scheen vor­ge­nom­men sowie Gespräche mit Ver­tre­tern der Vor­stän­de, Imamen und weiteren Muslimen geführt. Intensiv dis­ku­tier­ter Ge­gen­stand des Vertrages ist die Regelung des Re­li­gi­ons­un­ter­richts an staat­li­chen Schulen. Bislang findet in Hamburg der Re­li­gi­ons­un­ter­richt für alle in evan­ge­li­scher Ver­ant­wor­tung statt. Künftig soll die Trä­ger­schaft auch auf die mus­li­mi­schen Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten aus­ge­dehnt werden. Das bedeutet: Evan­ge­li­sche und mus­li­mi­sche Re­li­gi­ons­leh­rer wechseln einander vor der Schul­klasse ab, um jeweils ihre spe­zi­fi­schen Themen, re­li­gi­ösen und exis­ten­zi­el­len Le­bens­deu­tun­gen dar­zu­stel­len. Innerhalb eines fünf­jäh­ri­gen Prozesses soll dieser Re­li­gi­ons­un­ter­richt in evan­ge­li­scher, mus­li­mi­scher und ale­vi­ti­scher Trä­ger­schaft ent­wi­ckelt werden.

Bislang ist ein solches Modell bun­des­weit einmalig. Die evan­ge­li­sche Kirche hat Be­reit­schaft zu dieser neuen re­li­gi­ons­päd­ago­gi­schen Form si­gna­li­siert, der Vatikan al­ler­dings eine in­ter­re­li­gi­öse Ko­ope­ra­tion ab­ge­lehnt. Wie aus dem Ver­trag­s­ent­wurf weiter her­vor­geht, können mus­li­mi­sche Verbände eigene Bil­dungs­ein­rich­tun­gen betreiben und neue Moscheen im Rahmen der geltenden Gesetze bauen. Der Islam in Hamburg bekennt sich zur frei­heit­lich-​de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung und nimmt selbst Glau­bens­frei­heit und Toleranz in Anspruch. Außerdem wird aus­drück­lich die Gleich­be­rech­ti­gung von Frauen und Männern fest­ge­schrie­ben.

Die Ver­hand­lungs­part­ner lehnen eine Dis­kri­mi­nie­rung von Frauen und Mädchen strikt ab. Ob mus­li­mi­sche Leh­re­rin­nen an staat­li­chen Schulen al­ler­dings ein Kopftuch tragen dürfen, ist im Entwurf in­ter­pre­ta­ti­ons­of­fen geregelt. Mit dem Hinweis auf „un­ge­recht­fer­tigte Kleidung“ bleibt offenbar genügend Spielraum für den Ein­zel­fall. Die mus­li­mi­schen Verbände hoffen darauf, dass der Vertrag noch in diesem Jahr von der Bür­ger­schaft ver­ab­schie­det wird.