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Kokain und mehr als 20 Jahre Knast: Das Leben des „Schneekönigs“ Ronald Miehling

Quelle: mein Beitrag in der WELT am SONNTAG, 4. November 2012, Hamburg-Ausgabe
 
Ronald Miehling raucht. Der „Schneekönig“ und einst mächtigste Kokainhändler Deutschlands, steht am Hafen, die TV-Kamera zoomt, wie er das Nikotin inhaliert. Es ist kein Koks, es sind keine harten Drogen. Der 62-Jährige muss strenge Auflagen im offenen Vollzug erfüllen und genießt die kleine Freiheit genauso wie die Aufmerksamkeit des NDR-Kamerateams. Ronald Miehling wird den Filmleuten von seinen illegalen Geschäften mit Kokain erzählen. Film ab, Kamera läuft.
 
Weltweit spannte er sein kriminelles Netz. Damals, in den 90er-Jahren, als er über einen Hofstaat von 50 Leuten herrschte. Als ihm die Frauen zu Füßen lagen im Rahlstedter „Club Aphrodite“. Und er in Champagner badete. Wozu man immerhin 400 Flaschen braucht.
 
Am 7. November sendet das NDR-Fernsehen die Dokumentation „Der Schneekönig“ (24 Uhr). Eine 80 Minuten lange Alltagsskizze über die Karriere eines skrupellosen Verbrechers und nach NDR-Angaben ein „ungeschminkter Blick in das Leben eines Mannes, der von seinen kriminellen Taten keinen Abstand nimmt und nichts bereut“.
Dabei begann das Leben des Barmbeker Jung in einem gesetzestreuen Elternhaus. Schließlich arbeitete sein Vater als Bereitschaftspolizist. Aber die ganze bürgerliche Enge mit der überkorrekten Nachbarschaft – das war nichts für einen wie den jungen Miehling. Er wollte immer das ganz große Ding drehen. Und vor allem gegen Gebote, Gesetze und Konventionen verstoßen. „Ich war ein Draufgänger, ich wollte was erleben und genau das machen, von dem alle sagen: Du, du, du, das darfst du aber nicht.“
Er tat es dennoch. Wurde Zuhälter und machte wenig später etwas mit Drogen. Jahrelang. „Von allen illegalen Geschäften brachte Koks das meiste Geld“, sagt der Mann, den sie noch heute „Blacky“ nennen. In den 80er- und 90er-Jahren kommt sein kriminelles Geschäftsmodell vollends zur vollen Blüte. Warum auch viel arbeiten, wenn man mit einem Gramm Koks 100 Mark verdienen kann? Und ein bisschen gestreckt, lässt sich aus dem Zeug noch mehr herausholen. „Ich bin kriminell geworden, weil ich es so wollte, weil ich ein Abenteuer gesucht habe.“ Er reiste nach Amsterdam, nahm erste Kontakte auf und flog nach Kolumbien. Dort spannte der Hamburger sein enges Netz von Kontakten zu Dealern, Bankräubern, Zuhältern.
 
Mehr als ein Tonne Kokain lässt er insgesamt nach Deutschland schmuggeln. Die narzistische Hamburger Schickeria kaufte gerne seine Ware ab. Koks, bekennt der Miehling-Biograf Helge Timmerberg, „dreht alles und alle um – Freunde zu Vampiren, Sex zu Sado/Maso, Dialoge zu Monologen, Engagement zu Heuchelei“. Vor allem aber ist das Ganze verboten, doch einer wie Miehling schert sich nicht darum.
Lange Zeit versuchte die Polizei, dieses Drogenkartell zu sprengen. Bis es den Beamten 1994 gelang, den Kokainhändler in Venezuela festzunehmen. Was danach folgte, entstammt nicht dem Drehbuch des Drogenkönigs. Jetzt gab der Rechtsstaat vor, was zu tun ist: Nach seiner Auslieferung nach Deutschland wurde er zu mehr als zwölf Jahren Haft verurteilt. Santa Fu und keine schnellen Autos mehr. Hinter Gittern nutzte Miehling die Zeit zum Nachdenken, an dessen Ende eine Art Autobiografie stand. Redigiert und in lesbare Form gegossen, erschien sie in mehreren Auflagen im Jahr 2004. Ebenso ehrlich wie provozierend beschreiben Miehling und Co-Autor Timmerberg im Rückblick jenes Leben zwischen Korruption, Drogengeld, Plastiktüten und Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Bis die Polizei diesem Kriminellen das Handwerk legt.
Der NDR-Film hat für das Psychogramm bewusst die Täterperspektive gewählt. Dabei bestand die Gefahr gerade darin, diese kriminelle Karriere zu überhöhen. „Doch wir haben darauf geachtet, nicht die Neutralität zu verlieren“, sagt Co-Autor Johannes Edelhoff. Denn es hätte im extremen Fall daraus eine Heldensaga werden können. Oder lediglich ein Polizeibericht, eine Akte. „All das aber wollten wir nicht.“
So ist aus den Gesprächen mit dem Täter ein sehr wechselhafter Film geworden, eine Alltagsskizze, gezeichnet von den Abgründen menschlicher Existenz. Insgesamt mehr als 20 Jahre hat der Mann, der sich selbst zum Gesetz erklärte, hinter Gittern verbracht. Zwar war er 2003 vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Doch einer wie der „Schneekönig“ konnte gar nicht anders, als wieder rückfällig zu werden. 2005 wurde Miehling erneut wegen Kokainhandels im großen Stil in Bramfeld verhaftet. Es ging um insgesamt 50 Kilo Rauschgift im Einkaufswert auf dem Drogenmarkt von 1,25 Millionen Euro. Der Staatsanwalt warf dem Angeklagten sechs Fälle vor. Unter seiner Regie soll der Stoff von einem Lieferanten aus Kolumbien per Schiff nach Antwerpen und danach über Kuriere weiter verkauft worden sein. Das Landgericht verurteilte den Drahtzieher zu sieben Jahren und neun Monaten Haft. Außerdem muss er eine Reststrafe verbüßen.
Ein Jahr lang haben die NDR-Autoren Johannes Edelhoff und Timo Großpietsch den Ex-Drogenboss begleitet. Wie er von Santa Fu aus jeden Tag widerwillig einer Arbeitsmaßnahme nachgeht. Wie er auf seinen Freigängen alte kriminelle Freunde trifft. Und wie er sich auf ein Leben nach dem Gefängnis vorbereitet.
Gibt es das überhaupt, ein Leben nach Gesetz und Ordnung? Aber in einem Alter wie in seinem denkt selbst der härteste Drogenboss schon mal über den Sinn des Ganzen nach. Noch einmal straffällig werden darf er nicht. Das weiß er. Sonst müsste er für den Rest seines Lebens in den Knast.
Vielleicht schwindet mit zunehmenden Jahren seine Lust auf Abenteuer, Gesetze zu brechen und das ganz große Ding zu drehen. Und vielleicht hat jener chinesische Astrologe Recht, der dem „Schneekönig“ ein angenehmes Ende in warmen Gefilden vorausgesagt hat. Er würde, glaubt Miehling fest, eines Tages unter Palmen sterben.