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Kardinal Kasper über die vier Lübecker Märtyrer und die Seligsprechung

Quelle: Mein Interview in der WELT, 23. Juni 2011, Hamburg-Ausgabe

9000 Besucher und mehr als 20 katholische und evangelische Bischöfe werden zur Seligsprechung der „Lübecker Märtyrer“ am Sonnabend, 25. Juni,  in der Hansestadt erwartet. Die Predigt beim Pontifikalamt hält der langjährige römische Kurienkardinal und ehemalige Präsident des Päpstlichen Einheitsrates, Walter Kardinal Kasper. In der „Welt“ würdigt er die Bedeutung der vier NS-Widerstandskämpfer.

DIE WELT: Welche Anstrengungen haben Sie selbst unternommen, damit das Seligsprechungs-Verfahren in der Kurie in Gang kam – und was lag Ihnen dabei besonders am Herzen?

Kardinal Kasper: Mit dem Verfahren selbst hatte ich nichts zu tun. Als ich die Geschichte der drei Kapläne und des evangelischen Pfarrers kennen lernte, war ich persönlich tief beeindruckt. Ich bin ja selbst noch während des Dritten Reiches aufgewachsen und erinnere mich noch des Drucks und der Atmosphäre des Misstrauens, die damals auf uns lag. Diese vier Männer zeigen, dass es damals das andere Deutschland gab, das sich nicht gebeugt hat.

Die vier Männer sind auch Vorbilder für die Ökumene?

Zugleich sind sie Zeugen, wie in der damaligen Situation das Eis zwischen den Kirchen zu schmelzen begann und im Widerstand gegen ein zutiefst inhumanes totalitäres System Christen verschiedener Kirchen, zwischen denen bis dahin Funkstille herrschte, zusammenfanden und das größere christlich Gemeinsame entdeckten, aus dem heraus dann wachsen konnte, was wir heute Ökumene nennen.

Warum sind diese Männer religiös besonders verehrungswürdig und wie stellt sich das dann in der Praxis dar?

An diesen vier Männern ist in Erfüllung gegangen, was Jesus selbst in den Seligpreisungen der Bergpredigt sagt: „Selig, die um meinetwillen beschimpft und verfolgt werden.“ Sie sind ein leuchtendes Beispiel für das, was es unter schwierigen Umständen heißt, ein Christ zu sein, nämlich sich nicht zu ducken und verstecken, nicht feige dem allgemeinen Trend nachzulaufen sondern seinem Gewissen zu folgen und auf die Stimme von Jesus Christus zu hören. Solche Vorbilder brauchen wir heute dringend. In diesem Sinn verehren wir die vier Männer als Zeugen, was in der Sprache der Bibel heißt: als Märtyrer. Zugleich wissen wir uns mit ihnen in der „Gemeinschaft der Heiligen“ verbunden, welche über den Tod hinausreicht und in die die vier Männer aufgrund der Seligsprechung durch Jesus Christus endgültig eingegangen sind. Wenn man ihre Abschiedsbriefe liest, wird deutlich, dass sie in dieser Gewissheit ihrem Tod durch das Fallbeil entgegen gegangen sind.

Welche internen Schwierigkeiten und ökumenischen Bedenken galt es im Vorfeld der geplanten Seligsprechung zu überwinden?

Die Grundschwierigkeit war und ist es in gewissem Sinn noch immer, dass die evangelische Kirche zwar auf große Vorbilder, wie etwa auf Dietrich Bonhoeffer, verweist, aber eine Seligsprechung durch die Kirche nicht kennt. Dahinter stehen noch nicht gelöste Unterschiede im Kirchen- und Amtsverständnis. So besteht auf evangelischer Seite die Schwierigkeit, dass sie denkt, dass Katholiken mit der Verehrung der Seligen und Heiligen die einmalige Stellung Jesu Christi verdunkelt. Um das letztere kann es selbstverständlich nicht gehen. Denn die eigentliche Seligsprechung geschieht ja nicht durch die Kirche und bestimmte dafür zuständige kirchliche Ämter in der Kirche, sondern durch Christus selbst; die katholische Kirche stellt nur amtlich fest, dass in diesem Fall, konkret: in diesen Fällen die Seligpreisung Jesu gilt und dass die selig Gesprochenen leuchtende Zeugen für Christus waren und sind.

Werden diese Märtyrer etwa in der katholischen Kirche angebetet?

Wir verehren sie als Zeugen Jesu Christi, aber wir beten sie nicht an. Anbetung gebührt allein Gott und das Heil kommt allein von Jesus Christus.

Wie ist die theologische und organisatorische Trennung „Seligsprechung der katholischen Kapläne“ einerseits – „ehrendes Gedenken für den evangelischen Pastor“ andererseits eigentlich zu bewerten?

Wir als katholische Kirchemachen diesen Unterschied, weil wir das unterschiedliche Verständnis der evangelischen Christen achten und wertschätzen und weil wir niemanden vereinnahmen wollen. Wir wollen aber gleichzeitig die tiefere christliche Gemeinsamkeit zum Ausdruck bringen. Denn die Seligpreisung Jesu gilt selbstverständlich für alle vier Zeugen in gleicher Weise.

Wann ist eine Heiligsprechung der drei Kapläne denkbar?

Über eine möglich Heiligsprechung zu spekulieren, macht im Augenblick keinen Sinn. Das hängt nicht zuletzt von dem fortdauernden Echo der Seligsprechung bei den Gläubigen ab, das über die Grenzen des Lübecker, Hamburger und Osnabrücker Raum hinausgeht. Denn während eine Seligsprechung eine lokale bzw. regionale Bedeutung hat, kommt einer Heiligsprechung eine universal-kirchliche Bedeutung zu. Doch jetzt freuen wir uns zunächst einmal darüber, dass der kleinen, aber bedeutsamen und regen norddeutschen katholischen Diaspora-Kirche dieses Geschenk zuteilwurde, und selbstverständlich laden wir die evangelischen Mitchristen ein, sich mit uns zu freuen und mit uns zu feiern, so wie auch wir Pastor Stellbrink in ehrendem Gedenken halten.

Die Fragen stellte Edgar S. Hasse