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Angst vor Piratenangriffen – Internationale Konferenz der Seemannsmissionen in Hamburg

Angst vor Piratenangriffen –

Internationale Konferenz der Seemannsmissionen: Menschen, nicht Waren in den Blick nehmen

Von Edgar S. Hasse
(Quelle: WELT, 18. August 2011).
Nur 13 Seeleute arbeiten im Durchschnitt auf einem Containerschiff, das immerhin so groß wie 17 Fußballfelder ist. „Dass da überhaupt Menschen tätig sind, gerät angesichts der Größe dieser modernen Frachter oft gar nicht in den Blick“, sagt Heike Proske, Generalsekretärin der Deutschen Seemannsmission mit Sitz in Bremen. „Stattdessen liegt der Fokus der öffentlichen Wahrnehmung auf dem Wirtschaftsfaktor und dem Warenumschlag. Oder – bei einem Piratenangriff – auf dem Lösegeld.“
Die zehnte Weltkonferenz der Internationalen Seemannsmissionen (ICMA) in Hamburg will dazu beitragen, die Situation der Seeleute stärker ins Blickfeld zu nehmen. Vom 19. bis 23. August treffen sich rund 200 Vertreter von Seemannsmissionen aus 49 Ländern zu ihrer internationalen Konferenz in der Hansestadt. Zuletzt kamen die ICMA-Repräsentanten aus verschiedenen christlichen Denominationen 2004 in New Orleans zusammen. Thema sind diesmal unter anderem die Piratenangriffe auf Containerfrachter, die wachsende Bedeutung der Kreuzfahrt, die Vereinsamung der arbeitenden Menschen auf See und die 2006 auf den Weg gebrachte Maritime Labour Convention (MLC, Seearbeitsabkommen). Das Dokument hält Mindeststandards bei den Arbeitsbedingungen für weltweit mehr als 1,2 Millionen Seeleute fest; es geht unter anderem um Arbeitszeiten, Unterbringung und ärztliche Versorgung. Geplant ist, dass diese Vereinbarung 2012 in Kraft tritt.
 
Im Vorfeld der internationalen Tagung im Hamburger Michel hat der Verband Deutscher Reeder (VDR) die Arbeit der kirchlichen Seemannsmissionen gewürdigt. Sie wird unter anderem von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), vom VDR und aus Spendenmitteln gefördert. Das Geschäftsführende Präsidiumsmitglied des VDR, Senator a. D. Ralf Nagel, sagte der „Welt“: „Die Deutsche Seemannsmission führt auf eine besonders menschliche Art jeden Tag in vielen Häfen dieser Welt vor, was ‚Christliche Seefahrt‘ heute bedeutet. Sie leistet damit eine Arbeit, die aus der heutigen Seefahrt nicht mehr wegzudenken ist.“ Es sei ein großes Verdienst der Seemannsmission, darauf hinzuweisen, dass völlig unabhängig von der ungeheuren Größe der Maschinen, vom Volumen des Umschlags und von der Geschwindigkeit des Handels immer der Mensch im Mittelpunkt stehe, so Nagel. „Die Seemannsmission ist für alle Menschen da, unabhängig von Glauben und Herkunft. Es gibt kaum eine Institution, die so selbstverständlich eine überkonfessionelle und dabei so überaus menschliche Überzeugung lebt.“
 
Nach Angaben der Generalsekretärin der Seemannsmission, Heike Proske, unterhält die deutsche Organisation 17 ausländische und 16 inländische Stationen. Weltweit sind für sie 700 Mitarbeiter tätig, darunter 65 hauptamtliche. Mit den Schiffen kommen Besatzungen verschiedenster Herkunft, Religion und Weltanschauung in die Häfen; nur noch rund 450 Schiffe fahren unter deutscher Flagge und Führung über die Meere. „Es ist eine ständige Herausforderung, sich auf die Menschen anderer Kulturen einzustellen“, sagt die Hamburger Seemannspastorin Heike Spiegelberg. Mehr als 50 000 Seeleute besuchen jährlich die von Nordelbien betreuten Seemannsclubs, mehr als 10 000 übernachten in den Heimen. Nach Angaben von Propst Jürgen F. Bollmann haben im Internationalen Seemannsclub Duckdalben seit seiner Gründung vor 25 Jahren mehr als 700 000 Seeleute einen vorübergehenden Aufenthaltsort gefunden. Dort befinden sich auch Gebetsräume mit religiösen Symbolen der verschiedenen Weltreligionen.
An der Spitze der Herkunftsländer der Seeleute stehen die Philippinen, gefolgt von Russland, der Ukraine und Polen. „Aber zunehmend sind Chinesen und Türken im Kommen“, sagt Heike Proske. Besonders von den Reedereien nachgefragt seien momentan Arbeitskräfte, die von den Pazifikinseln Tuvalu und Kiribati stammen, weil sie als besonders billig gelten. Die Philippiner hätten sich derweil qualifiziert und übten besser bezahlte Jobs aus. Vor allem sprachlich besser ausgebildete Seeleute fänden Arbeit auf Kreuzfahrtschiffen. Allerdings gäbe es bei den Verträgen auf See, die meist für die Dauer von neun Monaten geschlossen werden, große Unterschiede. So sei die Bezahlung im Krankheits- und Urlaubsfall häufig nicht gewährleistet. Selbst dann, wenn ein Schiff von Piraten überfallen werde, erhielten die Seeleute für die Tage der Geiselnahme keinen Lohn. „Hier sehen wir dringenden Klärungsbedarf“, sagt die Generalsekretärin der Deutschen Seemannsmission.