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Seefahrt lehrt Beten – Mit Erzbischof Werner Thissen durch die Hamburger Seenot-Ausstellung

Edgar S. Hasse
Quelle: Hamburger Abendblatt, 9.10.2013

Erzbischof Werner Thissen legt den Mantel ab und begibt sich auf Deck 1. Er will einige Gäste durch die Sonderausstellung im Maritimen Museum führen, die er selbst schon mehrfach besucht hat. Schließlich geht es um „Glaube, Liebe, Hoffnung“ in jenen Augenblicken, da das tobende Meer den Menschen zu verschlingen droht. Also um Seenot – und Religion. Seit einigen Wochen ist diese historische Ausstellung über Leben und Überleben auf den Weltmeeren mit eindrucksvollen Stücken aus der Sammlung Peter Tamms sowie weiteren privaten Exponaten zu sehen. Erzbischof Thissen bleibt vor einer dicken Bibel aus dem 17. Jahrhundert stehen. Ihre Abbildungen dokumentieren eine Urkatastrophe, die ein glückliches Ende fand: die biblische Geschichte über die Sintflut, Noah und seine rettende Arche.
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Als ich den Titel der Ausstellung ‚Glaube, Liebe, Hoffnung‘ zum ersten Mal hörte, war ich wie elektrisiert“, erinnert sich Thissen. Denn mit dem Zitat aus dem Korinther-Brief des Apostels Paulus werde ein klarer christlicher Bezug hergestellt. Gerade in der Seefahrt spielt das Trio „Glaube, Liebe, Hoffnung“ seit Jahrhunderten symbolisch eine große Rolle: Jeder Seemann, der etwas von Traditionen und Tatoos hält, trägt die Zeichen Kreuz, Herz und Anker auf seiner Haut.

Seit 2002 ist Werner Thissen höchster Repräsentant der Katholiken in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg – also in einer maritim geprägten Region. Doch schon in früheren Jahren, als er noch in Nordrhein-Westfalen arbeitete, suchte der katholische Theologe die Nähe zum Meer. Nicht nur bei seinen privaten Reisen an die holländische Nordseeküste, sondern vor allem als Seelsorger auf Kreuzfahrtschiffen. Als junger Priester heuerte er häufiger während seines Urlaubs auf einem Feriendampfer an. „Da gab es mit den Passagieren immer sehr intensive Gespräche auf hoher See.“

Dass Meer mit seiner Weite und Tiefe, mit seiner Stille und dem brausenden Sturm, gilt Theologen und Psychoanalytikern seit eh und je als Spiegel der menschlichen Seele. Und die ist mal himmelhoch jauchzend, mal zu Tode betrübt. „Die See“, sagt Werner Thissen, „ist eine Chiffre für das Leben.“ Johann Wolfgang Goethe habe das treffend so zum Ausdruck gebracht, zitiert der 74-Jährige den deutschen Dichterfürsten: „Des Menschen Seele / Gleicht dem Wasser: / Vom Himmel kommt es / Zum Himmel steigt es / Und wieder nieder / Zur Erde muss es.“

Werner Thissen bleibt mit seiner Begleitung vor einer Flaschenpost stehen. An der Wand hängt der originale Brief aus dieser Flaschenpost, geschrieben im Angesicht des drohenden Todes. Es ist die Geschichte des Hamburger Kapitäns Arend B. Schumacher, dessen Schoner „Maria Helena“ am 28.September 1875 im Skagerrak in einen Orkan geriet. Das Schiff mit vier Mann an Bord drohte zu sinken. In der letzten Stunde vor dem nahen Untergang schrieb der Kapitän einen Brief an Frau und Kinder. „Ich bin getrost“, heißt es darin. Beim erneuten Lesen des Briefes staunt der Erzbischof über den Glauben und die Zuversicht des Kapitäns in der größten Krise seines Lebens. „Diese Flaschenpost ist ein Lebenszeichen. Und aus heutiger Sicht gleichsam eine SMS. Ihre Botschaft lautet: Ich will mit dem, was mir gerade widerfährt, nicht allein, sondern im Kontakt mit meinen Lieben sein.“ Zum Glück nimmt das Drama ein gutes Ende: Der Kapitän konnte sich in letzter Minute retten. Und die ins Meer geworfene Flaschenpost hat die Familie tatsächlich eines Tages erreicht.

Oder da ist die Geschichte einer Weltumseglung im Jahr 1971. Die Segelyacht „Beachcomber“ wurde vor Galapagos von einem Wal leck geschlagen. Die drei Norddeutschen Erich Neidhardt, Siegfried Schweighöfer und Wolfgang Stölting flüchteten innerhalb von 20 Minuten mit einigen Lebensmitteln und ihren wenigen Halbseligkeiten in ein mitgeführtes Dingi, eine Plastiknussschale aus dem Kaufhaus. 24 Tage lang verharrten sie in verzweifelter Lage. Doch völlig unerwartet trafen sie am 28.April 1971 plötzlich auf das sowjetische Passagierschiff „Shota Rustaveli“, das die völlig entkräfteten Deutschen an Bord nahm. Und das in einer Zeit, da die Weltmächte im Kalten Krieg standen. Auf dem Meer, sagt Thissen, habe Menschlichkeit über Ideologien gesiegt. Das Beiboot wird in dieser Ausstellung gezeigt.

Wie überhaupt die Seefahrt das Beten lehrt, fügt der Geistliche hinzu und verweist auf ein spanisches Sprichwort. Es heißt: „Wer beten lernen will, muss zur See fahren.“ Gerade im schweren Orkan, wenn das Schiff zu sinken drohe, merke der Mensch, wie klein und vergänglich er sei. Aber es gibt nach den Erfahrungen des ehemaligen katholischen Kreuzfahrtseelsorgers auch die andere Seite: das dankbare Gebet für die Schönheit der Schöpfung, für die Weite des Meeres und das transzendente Blau des Ozeans.

Zum Schluss bleibt der Hamburger Erzbischof vor dem Gästebuch der Ausstellung stehen. Wie in vielen Museen und Kirchen können Besucher hier ihre Eindrücke und Gedanken notieren, um sie mit anderen Menschen zu teilen. Da schreibt ein Seemann: „Durch glückliche Umstände 15 Jahre Seefahrt überstanden.“ Da preist eine Besucherin die „schönen Zeugnisse von Menschlichkeit“ in dieser Sonderausstellung. Und ein Mädchen namens Luca bekennt: „Meine Mama ist meine Arche.“

Die Sonderausstellung „Glaube, Liebe, Hoffnung“ ist bis Ende 2013 im Internationalen Maritimen Museum (Koreastraße 1) zu sehen. Das Museum ist dienstags bis sonntags in der Zeit von 10 bis 18 Uhr geöffnet.