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Weihnachten als Ereignis und Fest

Theologische und  medienwissenschaftliche Erwägungen

(Mein Betrag: Nordelbische Stimmen, 2011)

Weihnachten, das „Fest aller Feste“ (Manfred Josuttis), impliziert eine Vielzahl von Deutungen. Sie umfassen christologische, inkarnatorische Glaubensinhalte genauso wie pagane Relikte und moderne Umformungsprozesse zum jahreszyklisch zentralen Familienfest  mit dem am Heiligen Abend exzessiv praktizierten Ritual des Schenkens, das auf eine Stabilisierung der familialen und sozialen Interaktionen zielt. Aus empirischer Perspektive erodiert in der Gegenwart der christliche Kern des Weihnachtsfestes und verschwindet die Inkarnationsmetapher aus der öffentlichen Wahrnehmung.[1] Diese Entwicklung ist im Zusammenhang mit einer sukzessiven Veränderung der modernen Festkultur zu betrachten, bei der nicht mehr der Ursprungsmythos des Festes im Mittelpunkt steht, sondern das erlebnis- und eventorientierte Feiern. Tradierten Festen droht deshalb der Verlust der Sinnbezüge.[2]

Verweist das Weihnachtsfest aus kulturwissenschaftlicher Sicht als Medium kollektiven Gedächtnisses[3] in Gemeinschaft stiftender Funktion mit seiner religiösen Basisstory auf die heilige, transzendentale Dimension, dreht sich in der säkularisierten Eventfixierung vieles um Kommerz und exzessives Feiern. Praktische Theologie als Wahrnehmungswissenschaft steht vor der Aufgabe, diesen heortologischen Wandel in den Blick zu nehmen und Konsequenzen für kirchliches Handeln zu ziehen. Dazu soll hier ein Beitrag geleistet werden. Nach Distinktionen zum Ereignisbegriff in der hermeneutischen Theologie folgen Beobachtungen der Ereignisdimension im Kontext der Mediengesellschaft und schließlich handlungsorientierte Ableitungen. Die These ist, dass die kulturhermeneutische Wahrnehmung von Weihnachten als Ereignis und Event Potenzial entfalten kann, Impulse für Liturgie und Homiletik zu gehen.

  1. Ereignis – Zur Etymologie

Anders als der eher starre deutsche Begriff Fest evoziert das Wort „Ereignis“ im etymologischen Rückgriff eine semantische Nähe zur Phänomenologie[4], geht es doch auf die neuhochdeutschen Verben „eräugen“, „etwas zeigen“, „etwas vor Augen bringen“ zurück. Doch mehr noch als im Deutschen drückt das Lateinische „evenire“ (eventum=das, was herauskommt) jenes konstitutive Element der Bewegung und Dynamik aus, das an einen Geburtsvorgang erinnert. Die phänomenologische Erkundung präzisiert den Begriff nun dahin gehend, dass zum Wahrnehmen von Ereignissen ein je individuelles und kollektives Auffassen, Erleben und Erfahren – und dem lateinischen Wortsinn entsprechend – Widerfahren inkludiert werden kann, bei dem Momente der Auffälligkeit, des Unerwartetseins, der nachhaltigen Veränderung einer Situation und der (nicht beliebig möglichen) Wiederholbarkeit wichtig sind.[5] Die allgemeine Rede von Weihnachten als Ereignis eröffnet daher bereits auf der Begriffsebene einen Aktualitäts-, Dynamik-, Erlebnis- und Relevanzbezug, der mit der dichten Beschreibung als Fest nicht zu erzielen ist. Wer daher Weihnachten als Ereignis – und in trivialpopularer Form als  „Event“ – begeht, legt das Gewicht auf den Vollzug des aktualen Erlebens und nicht mehr ausschließlich auf das kulturell basale Element der Erinnerung.

  1. Theologische Distinktionen

In der Sprache der hermeneutischen Theologie, locus classicus der theologischen Rede vom Ereignis, wird jenes aktuale, präsentische Element – mutatis mutandis –  mit der existentialen Kategorie des „Augenblicks“ zum Ausdruck gebracht. In Rudolf Bultmanns präsentischer Eschatologie wird der aktuale, individuale Aspekt der „Vergegenwärtigung“ des historischen Faktums der Geburt Jesu deutlich, wenn er schreibt, „dass wir an Weihnachten jene eigentümliche Paradoxe feiern, dass ein historisches Ereignis zugleich das ‚eschatologische‘ Ereignis ist“.[6] Festzuhalten bleibt an dieser Stelle zunächst, dass Übereinstimmungen zwischen einem säkular virulenten und einem theologisch gedeuteten Ereignisbegriff bei aller Äquivokation bestenfalls in formaler Analogie bestehen können[7], die sich in den je verschieden interpretierten Faktoren der Bedeutsamkeit, der Aktualität und räumlichen, zeitlichen und individuellen Nähe zeigen.

  1. Weihnachten als mediales Ereignis

Evident ist der Ereignischarakter des Christfestes insbesondere im Blick auf die Mediengesellschaft[8], die das Christfest auf allen Kanälen kommuniziert – von den Printmedien bis zum Fernsehen. Medien bestimmen die öffentliche Agenda, indem sie Aussagen aus der Flut von Informationen selektieren; sie berichten grundsätzlich über Stellungnahmen, Themen – und Ereignisse. Dabei ist Weihnachten nicht nur ein „Thema“ unter vielen, sondern angesichts der gesellschaftlichen Omnipräsenz ein Ereignis, das zum jeweiligen Zeitpunkt hochrelevant und aktuell ist sowie über einen erkennbaren Anfang und ein absehbares Ende[9] verfügt. Die Medien berichten darüber in Meldungen und Reportagen, übertragen Christmetten aus den Kirchen und setzen sich mit dem Fest in Leitartikeln und Kommentaren auseinander. Weil auf Weihnachten die klassischen Nachrichtenfaktoren und journalistischen Selektionskriterien wie „Bedeutsamkeit“, „räumliche“ und „zeitliche Nähe“ sowie „Eindeutigkeit“ zutreffen, wird es als Ereignis – und nicht nur als journalistisch relativ beliebiges Thema –  medial rezipiert und inszeniert.  In der Hierarchisierung des Bedeutungsgrades von Ereignisses kann das Christfest sogar als „Schlüsselereignis“ verstanden werden, weil es über den in der Adventszeit die Frequenz der Berichterstattung intensivierenden „Schwellenfaktor“ verfügt und journalistische Berichtsroutinen angesichts dieser Relevanz verändern kann. Konkret heißt das: Während Massenmedien sonst für Dramatisierung, Skandalierung und Irritation im gesellschaftlichen Diskurs sorgen[10], publizieren sie zum Fest regelmäßig Appelle, zur Ruhe zu kommen. Oder – wie seit Jahren die „Bild“-Zeitung in ihrer Weihnachtsausgabe – „nur gute Nachrichten“. Und das, obwohl sonst  die Maxime gilt: „bad news are good news.“

Dieses Schlüsselereignis ruft alljährlich auch den  Bundespräsidenten auf den Plan. Seine Weihnachtsanspruche im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird zum vielfach kommunizierten TV-Ereignis. Die Ansprache von Christian Wulff am 25. Dezember 2010, die erstmals vor 200 ins Schloss Bellevue geladenen Bürgern aufgezeichnet wurde, verfolgten mehr als sechs Millionen ARD-Zuschauer. Angesichts dieses medialen Befundes steht außer Frage, dass die Gesellschaft Weihnachten nicht nur als Medium kollektiven Gedächtnisses und als zentrales Fest der Familie feiert, sondern aktual und erlebnisorientiert inszeniert und facettenreich „vor Augen bringt“. Weihnachten ist somit zum massenmedialen Ereignis geworden. Die bloße Erinnerungskultur und der gefühlsaffine Rückzug in das heimische Wohnzimmer als „Privatkathedrale der Individualreligiosität“[11] findet folglich ihre Ergänzung – und zuweilen ihren Ersatz – in der aktualen Ereignis- und Erlebnisdimension.

  1. Weihnachten als Event

Gehört zum Fest als Kategorie der kollektiven Zeiterfahrung und intendierten Unterbrechung des Alltags neben dem Ursprungsbewusstsein auch die Ästhetik der Festkultur und das gemeinschaftliche Feiern[12], so dominiert bei einem Event die Form über dem Inhalt – mehr noch: der Inhalt wird beliebig. Weihnachten als Event lässt sich in der Gegenwart dort beobachten, wenn auf den vielen Weihnachtsmärkten sich alles um Punsch, Promille und Kommerz dreht und in Endlosschleifen die ewig gleichen englischsprachigen Weihnachtslieder aus den Lautsprechern tönen. Aber auch in familialen und jugendkulturellen Kontexten ist der Wandel vom Fest zum Event und damit zur sinnentleerten Party mit exzessiven Zügen im Essen und Trinken zu beobachten. Dass diese Entwicklung kulturhermeneutisch ernst zu nehmen ist, bekräftigen neue demoskopische Daten, nach denen  drei von zehn befragten Deutschen nicht wissen, warum eigentlich Weihnachten gefeiert wird.

  1. Konsequenzen für kirchliches Handeln
  1. Das Verständnis von Weihnachten als massenmedial inszeniertes Ereignis und als Event leistet einen kulturhermeneutischer Beitrag zur Deutungspluralität des Christfestes unter den Bedingungen der modernen Mediengesellschaft. Wer als PredigerIn die ereignishafte Ubiquität und Omnipräsenz – von den Weihnachtsmärkten und -feiern bis zu Kitsch, Kommerz und trivialer TV-Unterhaltung – wahrnimmt, bekommt die Diversifikation der gesellschaftlichen und individuellen Inszenierungspraktiken des Christfestes in den Blick.
  2. Kirchliches Handeln sollte das diffuse Bedürfnis der Menschen, dieses Fest mit allen Sinnen als Ereignis, Event – und als x-mas-Party – zu feiern, ernst nehmen und respektieren. Und zwar aus schöpfungstheologischen Gründen.[13] Schließlich geht es ihnen darum, Ja zum Leben zu sagen, sich an den Dingen und Gaben des Lebens zu freuen und sie zu genießen. In der Weihnachtspredigt könnte daher das Thema der göttlichen Gutheißung der Welt im Mittelpunkt stehen. Wo die Freude über die Schöpfungsgaben und das Kommen Gottes überwiegt, hat das homiletische Nachdenken über die Sündhaftigkeit des Menschen genauso sekundäre Bedeutung wie die Fundamentalkritik an der säkularen und exzessiven Festfreude.
  3. Während die Mediengesellschaft Weihnachten in Wort, Bild und Ton als Schlüsselereignis inszeniert, sollten sich die Kirchengemeinden den journalistischen Bedingungen der Realitätskonstruktion nicht verschließen. Aufgabe der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit ist es daher, die Veranstaltungsangebote in der Weihnachtszeit medial als kirchliches Ereignis zu kommunizieren. So könnten Journalisten aus der Region im Vorfeld der Weihnachtsgottesdienste zu einer Pressekonferenz eingeladen werden, in der die Gemeinde nicht nur über die Gottesdienste, karitative Aktionen, das Krippenspiel und die Weihnachtsmusik, sondern auch über das Profil der Kirchengemeinde und die Geschichte des Gotteshauses informiert.
  4. Gleichzeitig ist es wichtig, dem wachsenden Bedeutungsverlust von Weihnachten als Fest der Geburt Jesu mit journalistisch verwertbaren Informationen über den Ursprung des Festes und seinen theologischen Kern zu begegnen. Die Inkulturation des Christentums erfolgt also unter den Bedingungen der Mediengesellschaft durch das Mittel der Information über die religiöse Basisstory.
  5. Konterkulturell wird der sinnentleerten Eventfixierung, dem Lärm der Weihnachtsmärkte und Kaufhäuser allerdings mit der Entdeckung der Stille zu begegnen sein. Aufgabe der Kirchengemeinden könnte es daher sein, die Advents- und Weihnachtszeit als Ereignis der Stille zu feiern. Liturgisch will insbesondere die Stille Nacht am Heiligen Abend sorgsam bedacht sein.
  6. Denn die Stille der Heiligen Nacht verheißt den Menschen, zur Ruhe zu kommen. Im Denken der hermeneutischen Theologie ist die Stille der „eigentliche Raum der Sprache“[14], in der Gottes Liebe spricht. So sehr sich der Prediger und die Predigerin der Ereignisdimension des Festes in der Mediengesellschaft öffnen, so offen sollten sie dafür sein, dass Gott in der Stille der Heiligen Nacht handelt. Auf diese Weise kann der „Augenblick“ im Sinne einer präsentischen Eschatologie zum Kairos werden. Weihnachtlich predigten bedeutet also, vom inkarnationschristologisch ermöglichten und eschatologisch vollzogenen und sich vollziehenden Ereignis der Nähe Gottes zu predigen und daher vom Immanuel (Jes. 7,14). Eine Weihnachtspredigt, die nicht über das Ereignis Gottes, sondern in[15] diesem Ereignisgeschehen redet, ist potenziell selbst ein Ereignis.

Edgar S. Hasse (Jg. 1960) ist promovierter evangelischer Theologe und Redakteur der WELT-Gruppe in Hamburg. Er ist Lehrbeauftragter an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald und der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie in Hamburg. Weihnachten 2011 wird er, von der  Nordelbischen Kirche als Bordseelsorger entsandt, auf einem Kreuzfahrtschiff verbringen.

[1]  Vgl. Edgar S. Hasse: Weihnachten in der Presse. Komparative Analysen der journalistischen Wahrnehmung des Christfestes anhand der „Weihnachtsausgaben“ ausgewählter Tageszeitungen und Zeitschriften (1955-2005), Erlangen 2010.

[2]  Vgl. Kristian Fechtner: Im Rhythmus des Kirchenjahres. Vom Sinn der Feste und Zeiten, Gütersloh 2007, 55-56. Vgl. auch Harvey Cox: Das Fest der Narren. Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe, Stuttgart / Berlin 41972, 24: „Weihnachten ist weitgehend zu einem Familienfest geworden, Ostern zu einem Frühlingsereignis, und am Erntedankfest gibt es keinen mehr, dem man danken kann.“

[3]  Vgl. Jan Assmann: Der zweidimensionale Mensch: das Fest als Medium kollektiven Gedächtnisses, in: ders. / Theo Sundermeier (Hg.), Das Fest und das Heilige. Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt, Gütersloh 1991.

[4]  Vgl. Michael Moxter: Erzählung und Ereignis. Über den Spielraum historischer Repräsentation, in Jens Schröter / Ralph Brucker, Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung (BZNW Bd. 114), Berlin / New York 2002, 75.

[5]  Vgl. Martin Seel: Ereignis. Eine kleine Phänomenologie, in: Nikolaus Müller-Schöll (Hg.), Ereignis. Eine fundamentale Kategorie der Zeiterfahrung. Anspruch und Aporien, Bielefeld 2003, 46.

[6]  Rudolf Bultmann: Glauben und Verstehen, Gesammelte Aufsätze, Bd. 4, Tübingen 41984 (11964), 139.

[7]  So auch Martin Nicol: Zwischen Ereignis und Wissenschaft. Über Schwierigkeit und Faszination der Praktischen Theologie, PTh 83 (1994), 69.

[8]  Der Begriff wird hier nicht systemtheoretisch gebraucht, sondern bezieht sich auf den quantitativ gewachsenen Medienkonsum. So verbringt jeder Deutsche zwischen 14 und 49 Jahren durchschnittlich acht Stunden pro Tag mit Fernsehen, Radio, Zeitungen, Zeitschriften und Internet. Vgl. Udo Hahn / Roland Rosenstock: Art. Medien, 5TRT 2 (2008), 765-769.

[9]  Vgl. zum Ereignisbegriff aus publizistikwissenschaftlicher Sicht Hans Mathias Kepplinger: Der Ereignisbegriff in der Publizistikwissenschaft, Publizistik 46 (2001), 116-139.

[10]  Vgl. Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien, Opladen 21996, 55.

[11]  Matthias Morgenroth: Weihnachts-Christentum. Moderner Religiosität auf der Spur, Gütersloh 2002, 214.

[12]  Vgl. Assmann, a.a. O., 13.

[13]  Vgl. dazu auch Holger Forssman: „Alle Menschen sind mir heute Kinder.“ Weihnachten als Fest der Schöpfung und der Erlösung, Erlangen 1998.

[14]  Ernst Fuchs: Marburger Hermeneutik, Tübingen 1968, 242.

[15]  Vgl. die Differenzierung von Martin Nicol: Einander ins Bild setzen. Dramaturgische Homiletik, Göttingen 22005, 55.

Weihnachten auf Kreuzfahrt: Tipps für Seereisen zum Fest

051Bei der Weihnachts-Kreuzfahrt auf den Hapag-Lloyd-Schiffen wie hier vor der MS Hanseatic in der Antarktis kommt der Weihnachtsmann  mit einem Zodiac an Bord. Das ist der Auftakt für das Fest am 24.12. an Bord.  Foto: Edgar S.Hasse

WEIHNACHTEN AUF KREUZFAHRT

24. Dezember, 14 Uhr

Heilig Abend in Deutschland. Es ist 14 Uhr, die Geschäfte sind geschlossen. Still wird es in  Stadt und Land. Die Menschen ziehen sich in ihre Häuser und Wohnungen zurück. Die Lichter an den Fenstern und Weihnachtsbäumen beginnen zu leuchten, der Heilige Abend bricht an. Während die Welt draußen ganz still wird, treffen sich die Familien in ihren geschmückten Weihnachtszimmern zu Gabentausch und Gaumenschmaus. Auf den Kreuzfahrtschiffen ist Weihnachten das kaum anders.

Ob in der Karibik, auf dem Persischen Golf oder vor der Küste Südamerikas –  wenn die Ortszeit 14 Uhr zeigt, setzt an Bord eine bemerkenswerte Bewegung ein:  Die Passagiere gehen  getrennte Wege. Lagen sie am Morgen des 24. Dezember noch als Sonnenanbeter vereint auf dem Pooldeck oder erlebten sie gemeinsam interessante Landausflüge, so entscheidet sich am frühen Nachmittag, wer tatsächlich und mit ganzem Herzen Weihnachten feiern will.

Während die Weihnachtsfreunde sich am frühen Nachmittag in ihren Kabinen festlich kleiden, um  wenig später im kompletten Familienverband die erste kirchliche Christvesper auf dem Schiff zu besuchen, bleiben die Weihnachtsflüchtlinge  keck in der Sonne liegen. Selten sind die Unterschiede in der Festkultur auf engem Raum so deutlich zu beobachten wie auf einem Kreuzfahrtschiff mit rund 2000 Passagieren und mehr. Die einen stehen am frühen Heiligen Abend mit Badehosen und Bikini an der Reling und schlurfen in ihren Badelatschen übers Teakholz; die anderen schreiten bereits zu diesem Zeitpunkt mit Abendkleid, Anzug und Krawatte vom Bug bis zum Heck. Sehen und gesehen werden, heißt es auch bei Weihnachten auf Kreuzfahrt auf den Ozeanen der Welt. Zu abendlicher Stunde freilich sind alle Passagiere wieder vereint, spätestens dann, wenn das festliche Gala-Dinner lockt. Im gemeinsamen Schmaus sind alle verbunden, die Weihnachtsfreunde genauso wie die Weihnachtsskeptiker. In meinfestgenussIn meinem Buch  „Festgenuss an Bord „, Verlagsgruppe Husum, erfahren Sie alles Wichtige zum  Fest auf hoher See – und viele Rezepte zum Nachkochen. Es gilt als Standardwerk für Weihnachten auf Kreuzfahrt.

 

REICHLICH  PROVIANT AN BORD FÜR DIE WEIHNACHTS-KREUZFAHRT

Mussten sich die Besatzungen auf den alten Segelschiffen im 19. Jahrhundert tagaus, tagein von weißen und grauen Erbsen, Grütze, Fleisch und Kartoffeln ernähren, so sichern die Kühlhäuser und Vorratskammern auf den großen Kreuzfahrtschiffen den Passagieren einen Törn in kulinarischem Überfluss. Die 25 Kühlhäuser auf der „Queen Mary 2“ mit ihren maximal 2620 Passagieren zum Beispiel beherbergen allein für eine sechstägige Transatlantik-Passage 9800 Kilogramm Rind, 15.200 Kilo Gemüse, 20 Kilo Kaviar und 26.000 Eier. Auf einer Durchschnittsreise werden pro Tag rund 18 bis 20 Tonnen Lebensmittel verbraucht, nicht zuletzt 2500 Flaschen Champagner, 6000 Flaschen Bier und 3700 Flaschen Wein. Beim Routine-Törn – der Transatlantikpassage – befinden sich Lebensmittel im Wert von zwei Millionen Euro an Bord.

Die Vorbereitung der Speisen ist nur mit hohem personellem Aufwand zu leisten. 150 Köche und 85 Küchenhilfen umfasst die gesamte Küchenbrigade. Es gibt sogar spezielle Gemüseschnitzer, die aus roten Tomaten kunstvolle rote Rosen zur Dekoration zaubern.  „Wahre Künstler“, sagt der Kreuzfahrtpublizist Ingo Thiel, „sind auch die Eisskulpteure, die mit einer kleinen Kettensäge mächtige Figuren für die Buffets herstellen.“ Dieses Kunsthandwerk können auch die Weihnachtsgäste auf der „Mein Schiff“ 1 oder 2 bestaunen, wenn sie etwa in der Karibik mit unterwegs ist. Der Proviant für eine siebentägige Weihnachtsreise auf der Mein Schiff  2 von TUI Cruises für  2000 Gäste bringt im Übrigen insgesamt 60.000 Kilogramm auf die Waage.  Dazu zählen  6300 Kilogramm Fleisch, 20.000 Eier, 3.500 Liter Milch, 11.200 Kilogramm Obst sowie 5600 Kilo Gemüse. Weihnachten auf Kreuzfahrt – die Rezepte zum Nachkochen stehen in meinem Buch.

 

WELCHE DESTINATIONEN GIBT ES FÜR WEIHNACHTSKREUZFAHRTEN?

005 Die bevorzugten Destinationen für Weihnachtskreuzfahrten liegen in der Antarktis (Antarktische Halbinsel, rund um die Kanarischen Inseln, in Asien und in der Karibik und Südamerika. Die Anbieter sind u.a. Hapag-Lloyd Kreuzfahrten (Antarktis), TUI Cruises, AIDA,  MSC Kreuzfahrten , Cunard , Costa Kreuzfahrten.

GIBT ES EINE CHRISTMETTE an BORD bei der WEIHNACHTS-KREUZFAHRT?

 

Einen festen Platz auf einigen Reisen haben christliche Angebote. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und das Auslandsekretariat der katholischen Deutschen Bischofskonferenz sind bei ausgewählten Reedereien mit Bordseelsorgern vertreten. AIDA Cruises mit Sitz in Rostock-Warnemünde hält freilich von solchen kirchlichen Begleitfahrten nichts. Die Gäste, heißt es, würden das nicht verlangen. Stattdessen gibt es in der Heiligen Nacht die Video-Botschaft eines Geistlichen, die vorher an Land aufzeichnet wurde. Wer freilich mit TUI Cruises, Hapag-Lloyd Kreuzfahrten oder kleineren Reedereien unterwegs ist, darf auf das Angebot eines Bordpastors setzen. Neben Vorträgen über die Entstehung des Christfestes finden die Passagiere im Weihnachtsprogramm Christvespern, Christmetten und ein gemeinsames Singen.  Veranstaltungsorte sind große Konferenzräume und das Theater des Schiffes, denn über spezielle Sakralräume verfügen die deutschen Kreuzfahrtschiffe  nicht.

Wie aus den EKD-Statistiken aus dem Gottesdienstbesuch am Heiligen Abend hervorgeht, besucht grundsätzlich gut ein Drittel der Kirchenmitglieder am Heiligen Abend „an Land“ die Kirche. „Auf dem Wasser“ liegt der Anteil ebenfalls bei rund 30 Prozent. Allerdings hängt die Bereitschaft, eine Christmette um 23 Uhr zu besuchen, auch vom jeweiligen Ausflugsprogramm und der Anreise ab. Wer am Tag zuvor aus Deutschland mit dem Flugzeug in der Karibik eingetroffen ist, hat kaum am Heiligen Abend langes Durchhaltevermögen. Häufig sind in die Gestaltung der Vespern und Metten Kapitän und Kreuzfahrtdirektor  einbezogen. Künstler und Passagiere sorgen für die musikalische Umrahmung. Nach Mitternacht bieten die Geistlichen für die Crew eine Christmette in englischer Sprache an.

Wie christlich Weihnachten auf einem Schiff gefeiert wird, hängt also von den Menschen ab,  denen der wahre Wesenskern des Festes besonders am Herzen liegt. Im schrillen Gegensatz dazu steht das säkulare Unterhaltungs- und Showprogramm, bei dem die jeweiligen Kreuzfahrtdirektoren, Entertainer, Bühnenkünstler und Musik die Deutungshoheit über das Fest beanspruchen. Es sind  Kreuzfahrtschiffe unterwegs, auf denen das Fest als Feier für die Geburt Jesu keine Rolle mehr spielt.  Allenfalls biblische Anklänge gibt es noch, wenn die Drei Weisen aus dem Morgenland als die ersten Weihnachtstouristen bezeichnet werden. Als Show-Programm läuft „Weihnachten bei den Hoppenstedt“ – eine Reverenz an den großen Komiker Loriot. Sentimental werden die Passagiere höchstens dann, wenn alle gemeinsam „Stille Nacht, heilige Nacht“ singen. Kreuzfahrtseelsorger haben an Weihnachten stets viel zu tun. Viele Singles befinden sich an Bord, die  das Fest nach einem Schicksalsschlag nicht allein verbringen wollen.  Es gibt darüber hinaus eine Gruppe von Sinn suchenden Menschen, die kirchlich nicht gebunden sind.  Sie genießen den Luxus und Komfort und sind zugleich dankbar dafür, dass sie sich um nichts kümmern müssen. Sie freuen sich auf die Weihnachtsgeschichte aus Lukas 2 und die lieben alten Weihnachtslieder. Für sie könnte eine Kreuzfahrt unter dem Weihnachtsstern nicht nur eine Reise ins Glück, sondern auch zu Gott werden.

WEIHNACHTEN auf KREUZFAHRT MIT DER MS HANSEATIC IN DER ANTARKIS

Mein Reisebericht, Hamburger Abendblatt, 27.12.2014, (Auszüge)

Staunend stehen die Passagiere auf den Decks: Bis zum Horizont ist alles weiß.  Die Passage ins Weddell-Meer in der nördlichen Antarktis beschert den Gästen des Hamburger Kreuzfahrtschiffes „Hanseatic“ am Ersten Feiertag weiße Weihnachten. Überall treiben Packeis und Tafelberge, die See ist spiegelglatt, der Himmel blau. Wenig später ziehen die Gäste Gummistiefel  und ihre Rettungsweste an. Und los geht’s zu einem Erkundungstörn in den wendigen schwarzen Schlauchbooten (Zodiacs) durch die schwimmende weiße Pracht. „Abenteuer Antarktis“ heißt die fast vierwöchige Weihnachtsreise von Ushuaia (Feuerland) über die Falklandinseln und Südgeorgien mit der alten Walfängerkirche in Grytviken bis zur Antarktischen Halbinsel. 125 Passagiere sind an Bord, darunter mehr als 50 Alleinreisende.

Der Luxustörn ist in diesem Jahr fest in Hamburger Hand: Kapitän Carsten Gerke, 38, lebt in St. Georg, wenn er nicht gerade auf den Weltmeeren unterwegs ist. Expeditionsleiter Arne Kertelheim, 50, ist ein Barmbeker Jung. Navigations-Offizier Eddi Lissow, 30, wurde ebenfalls in Hamburg geboren und wohnt sonst in Ottensen. Kreuzfahrtdirektorin Ulrike Schleifenbaum hat ihre familiären Wurzeln in Volksdorf.

Und ich begleite als ehrenamtlicher Kreuzfahrtseelsorger im Auftrag der Nordkirche und Abendblatt-Redakteur diese Reise ans andere Ende der Welt – rund 14.000 Kilometer von Hamburg entfernt.  Während es in Deutschland bereits gegen 16 Uhr dunkel wird, geht die Sonne hier erst 23 Uhr unter, um gegen 2.30 Uhr wieder aufzugehen. Weihnachtsstimmung kommt in diesen Tagen bei den Crewmitgliedern allerdings eher selten auf. Wo Tafeleisberge auftauchen, Stürme das Schiff schaukeln lassen, sich praktisch jede Minute das Wetter ändern kann und Passagiere ein anspruchsvolles Programm erwarten, bleibt keine Zeit für große Gefühle.  „Das Fest möchte man doch eigentlich zuhause verbringen“, sagt der Kapitän. Es ist sein siebtes Christfest auf hoher See und die 15. Reise in die Antarktis. Für Eddi Lissow, der den Crew-Chor leitet, ist es das erste Weihnachtsfest auf einem Kreuzfahrtschiff.  Er hat mit seinen rund 50 Chormitgliedern intensiv für den Auftritt am Heiligen Abend geprobt. Als der Crew-Chor „Stille Nacht“ und das philippinische Weihnachtslied „Pasko Pasko“ singt, erreicht der Heilige Abend in der Explorer Lounge seinen Höhepunkt. Mit Cocktail-Gläsern lauschen die Gäste dem besinnlichen Programm, bei dem auch die christliche Botschaft nicht fehlt. Dafür bin ich verantwortlich

 

Für die Weihnachts-Kreuzfahrt zur antarktischen Halbinsel stehen 1400 verschiedene Lebensmittel, 45 Arten Fisch, 75 Wurst- und 45 Käsesorten zur Verfügung. Das letzte frische Gemüse vor dem Törn ins ewige Eis wurde auf den Falklandinseln gekauft. Von dort stammen auch die Weihnachtsbäume an Bord. Sie wurden extra zu diesem Zweck von einem Farmer gepflanzt. Bis zum März werden Kapitän, Kreuzfahrtdirektorin, Offiziere und der Expeditionsleiter an Bord jenes Kreuzfahrtschiffes bleiben, in der die Zodicas den Namen hanseatischer Persönlichkeiten wie die Lieselotte Powalla und Hans Albers tragen. Dann aber ist Weihnachten definitiv vorbei und der nahende Frühling dürfte die ankommenden Polarfahrer zu Spaziergängen in ihrer Heimatstadt locken. „Ich“, sagt Arne Kertelheim, „freue mich schon jetzt auf meine Lieblingstour vom Hafen bis zum Chilehaus.“   017

Weihnachten auf Kreuzfahrtschiffen. Wie das Fest an Bord gefeiert wird. Mit zahlreichen Rezepten von AIDA, TUI Cruises und anderen Reedereien

festgenussWie feiert man Weihnachten auf einem Kreuzfahrtschiff? Edgar Hasse hat viele Jahre als Bordseelsorger auf hoher See verbracht und gibt in diesem Buch Antwort. Er klärt auf über die Weihnachtsbräuche auf den beliebtesten Kreuzfahrtschiffen der Welt, wie der Queen Mary 2, der MS Europa, der MS Deutschland sowie den Schiffen von Costa, TUI und AIDA. Die Bord-Küchenchefs steuerten dazu ihre Feiertagsrezepte für das Kreuzfahrt-Feeling in der heimischen Kombüse bei. Wer neugierig ist, wie der Weihnachtsmann eigentlich an Bord ­gelangt oder wie eine Tanne auch in der Südsee im weihnachtlichen Glanz erstrahlen kann, der kommt an diesem Buch nicht vorbei. Erfahrene Weihnachtskreuzfahrer hingegen werden sich beim zustimmenden Nicken erwischen und dennoch Einiges hinzulernen.

Verlagsgruppe Husum, Preis: 19,95 Euro.

Rezension beim Onlineportal Cruisetricks: http://www.cruisetricks.de/weihnachten-auf-see-kulinarisch-und-geschichtlich/