Mein Beitrag in der WELT am SONNTAG, März 2006
Mit seinen Gedanken ist Arved Fuchs längst nicht mehr in Deutschland, sondern schon ganz weit weg. Er denkt an Kanada, die Gletscher, an seine neue Expedition. Er denkt an seinen Plan, der bis ins Detail stimmen muß. Er denkt an den Proviant, die Zelte und die technische Ausrüstung, die er mitnehmen will. Einen Laptop zum Beispiel. Denn per Satellit und Handy will er mit der Heimat in Verbindung treten.
Schließlich braucht Arved Fuchs auch einige chirurgische Instrumente, mit denen er im Notfall Wunden näht. Und eine Zange zum Zähneziehen, wie einst in Grönland, die er kurzerhand bei einem Expeditionsteilnehmer einsetzen mußte.
Arved Fuchs, 52, sitzt mal wieder auf gepackten Koffern. Am kommenden Mittwoch startet der Bad Bramstedter seine neue Expedition, die ihn ins ewige Eis führen wird. Diesmal geht es in die kanadische Arktis, die er schon einmal 1980 besucht hat. Aber nicht mit dem Schiff werden sich Arved Fuchs und seine drei Begleiter dem Zielgebiet nähern. Die gute, alte „Dagmar Aaen“, der Holzkutter des Abenteurers, legt gerade eine Verschnaufpause in der Flensburger Förde ein.
Zunächst steigt die Gruppe in ein Flugzeug, dann in einen Hundeschlitten. Mehrere Huskies werden den Tross zwei Monate lang durch Schnee und Eis in Kanada ziehen. Was auf den ersten Blick nach Romantik klingt, dürfte mit Strapazen, Entbehrungen und vor allem viel Forschungsarbeit verknüpft sein.
„Wir wollen unter anderem die Klimaveränderung weiter dokumentieren“, sagt Arved Fuchs zu seinen Plänen. Mehr darüber will er aber nicht verraten, erst kommende Woche, kurz vor dem Abflug. Das ist das Prinzip seiner PR-Strategie.
Der „Playboy“ hat den Bad Bramstedter einmal den „Hans Eichel unter den Extremsportlern“ genannt, was tatsächlich als Kompliment gemeint war. Einer wie Fuchs plant seine Expeditionen vorher bis ins Detail - so akribisch wie ein Buchhalter in einer Behörde. Nichts will er dem Zufall überlassen, es sei denn, die Natur gebietet plötzlich Einhalt.
„In jeder Expedition liegt die Möglichkeit des Scheiterns“, weiß der 52jährige. „Aber von meiner Seite aus werde ich alles tun, daß unsere Unternehmung gelingt.“ Mit der Bezeichnung „Abenteurer“ mag er sich allerdings nicht anfreunden. Fuchs selbst beschreibt seine Rolle als „Expeditionsleiter“. Vielleicht, sagt er, sei er auch ein „Aussteiger auf Zeit“, der stets aufs neue die grandiose Schönheit der Gletscherwelt suche, die Weite der Schneelandschaft. Und die Kälte.
Gegen die schützt er sich mit optimaler Ausrüstung, wie damals in Sibirien, bei minus 60 Grad. „Man muß mit der Kälte richtig umgehen“, meint Arved Fuchs. „Erst wenn nichts mehr weh tut, wird es schlimm. Dann drohen Erfrierungen.“
Die polaren Regionen der Erde interessieren den Publizisten seit seiner Kindheit. Nach der Schule absolvierte Fuchs eine Ausbildung bei der deutschen Handelsmarine mit dem Ziel, dabei das Rüstzeug für seine künftigen Pläne zu lernen. Dutzende von Expeditionen hat Fuchs in den zurückliegenden Jahren unternommen. „Jede hatte ihre eigenen Höhepunkte und kritischen Momente. Aber eine Wertung, welche mich am meisten herausgefordert und berührt hat, kann ich nicht treffen.“
Alles begann mit einer Kanu-Expedition 1977 nach Labrador, ein Jahr später folgte Borneo. 1981 überquerte er mit einem Segelboot den Atlantik, 1983 ging es per Hundeschlitten durch Grönland. Das war fast noch ein Spaziergang, denn Arved Fuchs suchte größere, gefährlichere Abenteuer.
1989 durchquerte er als erster Deutscher in einem Jahr die Eiswüsten sowohl am Nord- wie auch am Südpol. In der Antarktis begleitete ihn Alpinist Reinhold Messner. Bei Tagestemperaturen von 20 bis 30 Grad minus legten sie über 2800 Kilometer in 92 Tagen zurück - unterstützt nur durch Schleppschlitten und darauf montierte Segel.
An physische und psychische Grenzen führte die Expedition „Shackleton 2000“ ins Südpolarmeer vor sechs Jahren, bei der er sich mit drei Begleitern auf die Spuren des britischen Polarforschers Ernest Shackleton begab. Auf einem gerade mal sieben Meter langen Boot, das weder über ein Radargerät noch einen Motor verfügte, legte die Mannschaft rund 2000 Kilometer von der Antarktis bis zur Insel Südgeorgien zurück.
Immer wieder mußten die Männer schweren Stürmen trotzen, Eisbergen und Kälte sowieso. Muffig und feucht war die Kleidung, die niemals trocknete. Die permanente Herausforderung zapfte die letzten Reserven an. „Du wirst reduziert auf das Ursprüngliche“, sagt Arved Fuchs. „Es ist dann nicht mehr selbstverständlich, daß ich es warm habe und etwas zu essen auf dem Tisch steht. Und daß ich lebe.“
Für neue Schlagzeilen sorgte der Polarexperte 2004. Damals glückte ihm mit der „Dagmar Aaen“ als erstem überhaupt die Umrundung des Nordpols über die Nordwestpassage. Dabei beobachtete sein Team, wie sich die globale Erwärmung schon jetzt in der <<Arktis>> auswirkt. „Wir haben auf unseren Reisen überall auftauende Permafrostböden gesehen. Es ist erschreckend, wie schnell sich die <<Arktis>> verändert.“
Die Dokumentation dieser rasanten Veränderungen ist auch eines der Ziele der neuen Kanada-Expedition. „Wir sind gewissermaßen in der <<Arktis>> zu Hause und können die Dinge über einen längeren Zeitraum beobachten als Expeditionen, die nur einmal dorthin fahren“, sagt Arved Fuchs.
Er sei zwar kein studierter Polarforscher, der die Wissenschaft mit seinen Erkenntnissen bereichern wolle. Aber er verstehe sich als einer, der komplexe naturwissenschaftliche Phänomene populär vermittelt - in Büchern und Vorträgen, mit denen er im übrigen zum größten Teil seine Expeditionen finanziert. Ein Thema seiner Referate lautet: „Grenzen sprengen“. Da geht es um die sorgfältige Planung und das mögliche Risiko einer Expedition, um Strategien gegen die Angst, um Wünsche und Träume.
Natürlich freut sich Fuchs auf die zwei Monate im Eis, zumal seine Frau Brigitte dabei ist. Ein gutes Buch wird er mitnehmen nach Kanada, für eine entspannende Lektüre. Schwer wird es nur, wenn er nach der Auszeit im Eis wieder eintaucht in den typisch deutschen Alltag. „Ich muß mich dann an die Oberflächlichkeit der menschlichen Beziehungen erst wieder gewöhnen.“