Archiv für den Monat: September 2013

Langsam laufen für ein langes Leben

Quelle, Mein Beitrag im Hamburger Abendblatt, 31.8. 2013

Von Edgar S. Hasse

Joggen im Geschwindigkeitsrausch – das war gestern.

Auf die Plätze, fertig, los! Nein, das funktioniert so nicht. Frank Hofmann, promovierter Philosoph und Publizist, 50, spricht vorher ein Vaterunser. Gert von Kunhardt, 74, ehemaliger Sportdezernent der Bundeswehr, joggt so langsam, dass solche Kommandos aus dem Leistungssport überflüssig werden. Und Christoph Störmer, 63, Hauptpastor St. Petri, beginnt seinen Sonnabendmorgen-Lauf ebenfalls mit einem Gebet und singt zum krönenden Abschluss der Jogging-Tour an der Elbe ein „Halleluja“.
Joggen im Geschwindigkeitsrausch – das war gestern. Die drei Läufer stehen vielmehr für moderne Präventionskonzepte, die auch passionierte Couch-Potatos zu moderaten Langzeit-Bewegungen motivieren dürften. Dabei könnten die drei Männer auch viel schneller laufen, als sie es tun: Kunhardt, ehemaliger Vize-Weltmeister im Modernen Fünfkampf, springt auch noch nach einer Hüft-OP über hohe Hürden. Hofmann, Chefredakteur von „Runners World“, und Störmer sind überzeugte Marathon-Läufer.
Doch täglich schnell Laufen um jeden Preis – das wollen sie nicht. Ihre Erfahrung lehrt, dass gerade das Prinzip der Langsamkeit viel nachhaltiger und erfolgreicher ist. Kunhardt zum Beispiel, der seit Jahrzehnten als Bewegungstrainer europaweit im Einsatz ist, hat mit seinem Konzept mehr als 30.000 Menschen zum langsamen Lauf und zu sich selbst gebracht. „Sie schaffen es ohne Vorbereitung, eine halbe Stunde lang ausdauernd zu laufen“, sagt der Coach von Führungskräften aus Timmdorf bei Bad Malente. Frank Hofmann erfand derweil das Projekt des „Spirituellen Laufens“, bei dem sowohl Bewegung als auch geistliche Impulse wichtig sind. Während er sich bei „Runners World“ um die schnellen Läufer kümmert, geht es beim „Spirituellen Laufen“ ganz gemächlich zu.
Sein Kurs, der mit einem Theorieabend eröffnet, läuft noch zum 18. September an der Hauptkirche St. Petri und – natürlich – an ausgewählten Jogging-Strecken. „Unser Ziel ist es, alle Teilnehmer in den sechs Treffen so weit zu bringen, dass sie eine Stunde langsam durchlaufen können.“
Dass Gert von Kunhardt das Prinzip der Langsamkeit mit dem Laufen verband, hatte für ihn gesundheitliche Gründe. „Ich war nie so oft krank wie zu meiner Zeit als Spitzensportler“, erinnert er sich. „Das Leistungstraining schwächte mein Immunsystem, sodass mir jeder lausiger Erkältungs- oder Grippevirus zu schaffen machte.“ Erst als er die Trainingsintensität und -dauer gegen den Willen seiner Trainer halbierte, erreichte ich Weltbestleistungen und blieb gesundheitlich fit.“
Das „Prinzip der subjektiven Unterforderung“ war geboren. Das bedeutet: Gerade mal so schnell zu laufen, dass man spielend noch einen Zahn zulegen könnte. Statt „joggen“ heißt es bei Kunhardt deshalb „joggeln“ – ganz langsam. So langsam, dass auch jene, die noch nie in ihrem Leben gelaufen sind, mühelos mithalten können. Das „Manager Magazin“ schrieb bereits 1986 über seine neue Methode einen Artikel und titelte: „Langsam laufen für ein langes Leben.“
Wer einmal mit dem „Joggeln“ angefangen hat, läuft offenbar auch später noch immer weiter in seinem Leben. Kunhardt: „Wie die Krankenkasse DAK in einer Studie über Nachhaltigkeit herausgefunden hat, sind unsere Teilnehmer nach drei Jahren zu 87 Prozent noch in der Bewegung. Der Bundesdurchschnitt bei anderen Kuren lag dagegen bei fünf Prozent.“
Die Menschen im Zeitalter der Bürojobs und modernen Kommunikation sind notorische Bewegungsmuffel. Manager von heute verbrauchen rund 600 Kilokalorien am Tag weniger als vor 25 Jahren. Allein die Erfindung des schnurlosen Telefons führte dazu, dass man rund 20 Kilometer weniger im Jahr zurücklegt. „Der durchschnittliche Aktionsradius der Menschen beträgt gerade mal 800 Meter am Tag. Dabei ist der Mensch evolutionär auf 20 Kilometer am Tag angelegt“, sagt Frank Hofmann.
Der Journalist, ehemals Chefredakteur von „Men’s Health“ und Kenner des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard, entwickelte für das spirituelle Joggen die „Liturgie des Laufens“. Weil zwischen Gebet und Lauf nach wissenschaftlichen Forschungen Analogien bestehen – schließlich rufen beide Formen menschlichen Handelns Gefühle der psychischen Stabilität und des Glücks hervor – verknüpft Hofmann Religion und Sport. „Beim Laufen“, sagt er, „sollte man den sportlichen Ehrgeiz zügeln. Es gibt deshalb beim spirituellen Laufen keine quantitativen, sondern nur gedankliche Vorgaben.“ Ein Bibelvers zum Beispiel, über den die Teilnehmer laufend nachdenken. Am Ende stehen neue Einsichten und ein besseres körperliches und seelisches Wohlbefinden.
„Für mich bedeutet das Laufen eine Reinigung, eine Katharsis“, sagt Hauptpastor Christoph Störmer, der ebenfalls Joggen und Beten verbindet. „Das ist wie eine Teufelsaustreibung“, fügt der Geistliche hinzu, dessen Strecke von der „Himmelsleiter“ bis nach „Teufelsbrück“ und wieder zurück führt. Danach fühlt er sich inspiriert und beschenkt. Jeder Schritt sei ein „Kick“.
Erfrischen – nicht erschöpfen, so lautet auch das Motto vom Verhaltenstrainer Gert von Kunhardt. „Ich rieche, sehe, schmecke, höre und fühle viel mehr. Und genieße das langsame Laufen als eine Art kontemplativer Besinnung.“ Tatsächlich sind die gesundheitlichen Effekte des Joggens und Joggelns vielfach wissenschaftlich belegt. Wie Frank Hofmann sagt, ist die heilende Kraft des Laufens bei 20 Krankheiten nachgewiesen, von Herz-Kreislauf-Problemen bis zu Alzheimer. Selbst das Einschlafen funktioniert besser. Brauchen Bewegungsmuffel im Schnitt 38 Minuten, sind es bei regelmäßigen Läufern lediglich 17 Minuten.

Buchrezension: Über die Theorie der Digitalen Bibel

Rezension von Johann Hinrich Claussen in der protestantischen Zeitschrift „Zeitzeichen“ (9/2013) zu meinem Buch:
„Von der Offenbarung ins Web 2.0. Die Bibel im digitalen Zeitalter. Impulse für eine Medientheologie, Brunnen Verlag Gießen 2013

Das Christentum ist eine Medienreligion, von Beginn an. Es bildet sich von vornherein an und mit seinen heiligen Schriften. Alle seine weiteren Epochenstufen sind mit medialen Veränderungen verknüpft. Bestes Beispiel dafür sind Reformation und Buchdruck. Dabei ist das Verhältnis des Christentums zu seinem Hauptmedium immer komplex gewesen. So haben Generationen von Theologen die komplizierten Entstehungsprozesse des alt- und neutestamentlichen Kanons zu erhellen versucht. Zudem haben sie versucht, den historisch-exegetischen Zugang zu den Texten mit dem Wahrheitsanspruch des Glaubens zusammenzudenken. Und schließlich mussten sie einsehen, dass sie beim Nachdenken über den Text immer auch die eigenen Konstruktionsleistungen der Leser miteinbeziehen müssen. Denn der Buchstabe des Textes bleibt tot, wenn er im Geist des Lesers nicht lebendig wird. So war die christliche Texttheologie schon zu Zeiten sehr komplex, als das konventionelle Buch das Leitmedium war. Um wie vieles mehr steigert sich diese Komplexität noch, wenn das Buch durch das Internet abgelöst wird?

Der Hamburger Journalist und promovierte Theologe Edgar S. Hasse möchte dies in einem angenehm schlanken Essay beschreiben und begreifen. Dabei schöpft er aus seiner journalistischen Berufserfahrung, wertet Einsichten der empirischen Medien- und Religionssoziologie aus, bleibt aber nicht beim Wahrnehmen stehen, sondern wagt sich an eine eigene theologische Deutung. Sehr erhellend sind seine Ausführungen über die neuen Aufbereitungsformen der biblischen Texte auf privaten Internetseiten, in sozialen Netzwerken und auf professionellen, zum Teil kirchlich mitverantworteten Webangeboten. Hier wird vieles versucht, was noch keine theologische Theorie gefunden hat.

Anknüpfend an die Inkarnationstheologie Karl Rahners und den Offenbarungsbegriff Karl Barths stellt Hasse die These auf, dass Gott sich nicht allein in Jesus Christus offenbart habe, sondern dies auch in der Verschriftlichung seiner Botschaft tue. Und diese Offenbarung der Schrift setze sich fort in ihrer Verbreitung und Rezeption in alten und neuen Medien. Damit ist eine Perspektive eröffnet, die Medialisierung der Botschaft Gottes im Internet nicht nur als deren Inkulturation in die spätsäkulare Gesellschaft zu verstehen, sondern sie in einen eigenen dogmatischen Begriff zu fassen. Von hier aus könne das, was heutzutage im Internet geschehe, auch als gelebte Religion in den Blick genommen werden. Hierüber könnte und sollte man prinzipientheologisch intensiv diskutieren. Ob Hasses These aber einleuchtet, hängt vor allem davon ab, ob sie einen plausiblen und konstruktiven Umgang mit den neuen Medien eröffnet. Und hier steht die theologische Debatte erst ganz am Anfang. Das Schöne an Hasses Essay aber ist, dass es ihm gelingt, seinen dogmatischen Ansatz mit ganz praktischen Hinweisen und Nutzanwendungen zu verbinden. Vor allem für die Religionspädagogik ergeben sich dadurch vielfältige Anregungen.

Edgar S. Hasse: Von der Offenbarung ins Web 2.0. Die Bibel im digitalen Zeitalter – Impulse für eine Medientheologie. Brunnen Verlag, Gießen 2013, 128 Seiten, Euro 14,99.