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Seligsprechung: „Ihr seligen Lübecker Märtyrer, bittet für uns!“

 Quelle: Mein Beitrag in der WELT, 27. Juni 2011,

Von Edgar S. Hasse

Beifall brandete bei der Open-Air-Messe in Lübeck auf, als der Hamburger Erzbischof Werner Thissen ein päpstliches Dokument weithin sichtbar nach oben hielt. Zuvor hatte der Vatikanische Präfekt für Selig- und Heiligsprechungen, Kardinal Angelo Amato, den von Papst Benedikt XVI. unterzeichneten Text verlesen: das Dekret über die Seligsprechung der katholischen Kapläne Hermann Lange, Eduard Müller und Johannes Prassek aus Lübeck. Nun dürfen die drei Geistlichen, die ihren Widerstand gegen das NS-Regime 1943 mit dem Leben bezahlen mussten, in Norddeutschland als Selige verehrt werden. Als Zeichen dieser Würdigung rief Erzbischof Thissen den Gläubigen zu: „Ihr seligen Lübecker Märtyrer, bittet für uns!“ Rund 8500 Gläubige und Gäste hatten sich am vergangenen Sonnabend mit rund 20 katholischen und evangelischen Bischöfen versammelt, um insgesamt vier Männer zu ehren, die als „Lübecker Märtyrer“ in die Geschichte eingegangen sind. Während die katholische Kirche die drei Kapläne in den Status der Seligen erhoben und damit für religiös und regional verehrungswürdig erklärt hat, gab es für den evangelischen Mitstreiter Pastor Karl Friedrich Stellbrink am vergangenen Sonnabend und Freitag ein ehrendes Gedenken.

Das Lübecker Pontifikalamt, das mit Trommelwirbel und Posaunenklängen begann, war reich an Symbolik. Da zählte nicht nur die 82-jährige Tochter des ermordeten evangelischen Pastors zu den Ehrengästen. Da leuchteten nicht nur vier metergroße, zusammengefügte Kerzen als Zeichen ökumenischer Verbundenheit. Zelebriert wurde das Pontifikalamt zudem mit der Buchausgabe eines Neuen Testaments, das einst Kaplan Lange gehört hatte. Für das Heilige Abendmahl wurde der Kelch von Eduard Müller genutzt. Und Walter Kardinal Kasper, der langjährige Ökumene-Beauftragte des Papstes, trug ein Sakralgewand von Johannes Prassek.

In seiner Predigt würdigte Kardinal Kasper Mut und Gottvertrauen der vier Lübecker Märtyrer, die am 10. November 1943 in Hamburg innerhalb von 30 Minuten enthauptet wurden. „Am Ende floss ihr Blut ineinander. Sie sind gemeinsam gestorben, haben für ihre christliche Überzeugung wortwörtlich den Kopf hingehalten.“ Gemeinsam hätten die katholischen Kapläne und der evangelische Pastor den Grund für die Ökumene gelegt. „Unsere Ökumene ist aufgebaut auf die Ökumene der Märtyrer.“ Die noch immer sichtbare Spaltung der Kirchen mache die Christen unglaubwürdig und sei ein Skandal, so der langjährige Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Die Gläubigen rief Kasper dazu auf, sich wie einst die Märtyrer nicht einer jeweils herrschenden Kultur anzupassen. „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“, sagte er unter dem Applaus der Zuhörenden.

Zu den Gästen der feierlichen Seligsprechung gehörten auch Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD), Schleswig-Holsteins Landtagspräsident Torsten Geerdts (CDU) und der Kieler Ministerpräsident Peter Harry Carstensen. Der CDU-Politiker bezeichnete die Seligsprechung in einem Grußwort nach dem Gottesdienst als historisches Ereignis nicht nur für Schleswig-Holstein, sondern für ganz Deutschland.

Die evangelische Kirche hatte des ermordeten evangelischen Geistlichen Karl Friedrich Stellbrink bereits am Vortag mit einem Gottesdienst gedacht. Daran nahmen auch hochrangige katholische Würdenträger teil. Der Vorsitzende der Kirchenleitung Nordelbiens, Bischof Gerhard Ulrich, rief dazu auf, der vier Lübecker Märtyrer ökumenisch zu gedenken. „Der Leidensweg der drei Kapläne und des Pastors Karl Friedrich Stellbrink ist beispielhaft für eine Ökumene der Märtyrer. Ein Martyrium der Ökumene unter dem Kreuz Jesu“, so Ulrich.

Unterdessen hat Papst Benedikt XVI. die „Lübecker Märtyrer“ öffentlich gewürdigt. Sie hätten „mit ihrem gemeinsam getragenen Leiden im Gefängnis bis zu ihrer Hinrichtung im Jahre 1943 ein großartiges, geradezu ökumenisches Zeugnis der Menschlichkeit und der Hoffnung gegeben“, sagte er am Sonntag beim Angelusgebet auf dem römischen Petersplatz. Er ermutigte die Gläubigen, sich von deren Gottvertrauen anstecken zu lassen, das sie selbst in der Kerkerhaft nicht verlassen habe.

Quelle: Mein Beitrag in der WELT, 27. Juni 2011, Hamburg-Ausgabe

Edgar S. Hasse

Kardinal Kasper über die vier Lübecker Märtyrer und die Seligsprechung

Quelle: Mein Interview in der WELT, 23. Juni 2011, Hamburg-Ausgabe

9000 Besucher und mehr als 20 katholische und evangelische Bischöfe werden zur Seligsprechung der „Lübecker Märtyrer“ am Sonnabend, 25. Juni,  in der Hansestadt erwartet. Die Predigt beim Pontifikalamt hält der langjährige römische Kurienkardinal und ehemalige Präsident des Päpstlichen Einheitsrates, Walter Kardinal Kasper. In der „Welt“ würdigt er die Bedeutung der vier NS-Widerstandskämpfer.

DIE WELT: Welche Anstrengungen haben Sie selbst unternommen, damit das Seligsprechungs-Verfahren in der Kurie in Gang kam – und was lag Ihnen dabei besonders am Herzen?

Kardinal Kasper: Mit dem Verfahren selbst hatte ich nichts zu tun. Als ich die Geschichte der drei Kapläne und des evangelischen Pfarrers kennen lernte, war ich persönlich tief beeindruckt. Ich bin ja selbst noch während des Dritten Reiches aufgewachsen und erinnere mich noch des Drucks und der Atmosphäre des Misstrauens, die damals auf uns lag. Diese vier Männer zeigen, dass es damals das andere Deutschland gab, das sich nicht gebeugt hat.

Die vier Männer sind auch Vorbilder für die Ökumene?

Zugleich sind sie Zeugen, wie in der damaligen Situation das Eis zwischen den Kirchen zu schmelzen begann und im Widerstand gegen ein zutiefst inhumanes totalitäres System Christen verschiedener Kirchen, zwischen denen bis dahin Funkstille herrschte, zusammenfanden und das größere christlich Gemeinsame entdeckten, aus dem heraus dann wachsen konnte, was wir heute Ökumene nennen.

Warum sind diese Männer religiös besonders verehrungswürdig und wie stellt sich das dann in der Praxis dar?

An diesen vier Männern ist in Erfüllung gegangen, was Jesus selbst in den Seligpreisungen der Bergpredigt sagt: „Selig, die um meinetwillen beschimpft und verfolgt werden.“ Sie sind ein leuchtendes Beispiel für das, was es unter schwierigen Umständen heißt, ein Christ zu sein, nämlich sich nicht zu ducken und verstecken, nicht feige dem allgemeinen Trend nachzulaufen sondern seinem Gewissen zu folgen und auf die Stimme von Jesus Christus zu hören. Solche Vorbilder brauchen wir heute dringend. In diesem Sinn verehren wir die vier Männer als Zeugen, was in der Sprache der Bibel heißt: als Märtyrer. Zugleich wissen wir uns mit ihnen in der „Gemeinschaft der Heiligen“ verbunden, welche über den Tod hinausreicht und in die die vier Männer aufgrund der Seligsprechung durch Jesus Christus endgültig eingegangen sind. Wenn man ihre Abschiedsbriefe liest, wird deutlich, dass sie in dieser Gewissheit ihrem Tod durch das Fallbeil entgegen gegangen sind.

Welche internen Schwierigkeiten und ökumenischen Bedenken galt es im Vorfeld der geplanten Seligsprechung zu überwinden?

Die Grundschwierigkeit war und ist es in gewissem Sinn noch immer, dass die evangelische Kirche zwar auf große Vorbilder, wie etwa auf Dietrich Bonhoeffer, verweist, aber eine Seligsprechung durch die Kirche nicht kennt. Dahinter stehen noch nicht gelöste Unterschiede im Kirchen- und Amtsverständnis. So besteht auf evangelischer Seite die Schwierigkeit, dass sie denkt, dass Katholiken mit der Verehrung der Seligen und Heiligen die einmalige Stellung Jesu Christi verdunkelt. Um das letztere kann es selbstverständlich nicht gehen. Denn die eigentliche Seligsprechung geschieht ja nicht durch die Kirche und bestimmte dafür zuständige kirchliche Ämter in der Kirche, sondern durch Christus selbst; die katholische Kirche stellt nur amtlich fest, dass in diesem Fall, konkret: in diesen Fällen die Seligpreisung Jesu gilt und dass die selig Gesprochenen leuchtende Zeugen für Christus waren und sind.

Werden diese Märtyrer etwa in der katholischen Kirche angebetet?

Wir verehren sie als Zeugen Jesu Christi, aber wir beten sie nicht an. Anbetung gebührt allein Gott und das Heil kommt allein von Jesus Christus.

Wie ist die theologische und organisatorische Trennung „Seligsprechung der katholischen Kapläne“ einerseits – „ehrendes Gedenken für den evangelischen Pastor“ andererseits eigentlich zu bewerten?

Wir als katholische Kirchemachen diesen Unterschied, weil wir das unterschiedliche Verständnis der evangelischen Christen achten und wertschätzen und weil wir niemanden vereinnahmen wollen. Wir wollen aber gleichzeitig die tiefere christliche Gemeinsamkeit zum Ausdruck bringen. Denn die Seligpreisung Jesu gilt selbstverständlich für alle vier Zeugen in gleicher Weise.

Wann ist eine Heiligsprechung der drei Kapläne denkbar?

Über eine möglich Heiligsprechung zu spekulieren, macht im Augenblick keinen Sinn. Das hängt nicht zuletzt von dem fortdauernden Echo der Seligsprechung bei den Gläubigen ab, das über die Grenzen des Lübecker, Hamburger und Osnabrücker Raum hinausgeht. Denn während eine Seligsprechung eine lokale bzw. regionale Bedeutung hat, kommt einer Heiligsprechung eine universal-kirchliche Bedeutung zu. Doch jetzt freuen wir uns zunächst einmal darüber, dass der kleinen, aber bedeutsamen und regen norddeutschen katholischen Diaspora-Kirche dieses Geschenk zuteilwurde, und selbstverständlich laden wir die evangelischen Mitchristen ein, sich mit uns zu freuen und mit uns zu feiern, so wie auch wir Pastor Stellbrink in ehrendem Gedenken halten.

Die Fragen stellte Edgar S. Hasse

Lübecker Märtyrer: 9000 Besucher und 20 Bischöfe zu ökumenischem Ereignis erwartet

 

Von Edgar S. Hasse

(Quelle: WELT, 16. Juni 2011)

Mindestens 9000 Besucher, 60 Reisebusse mehr als 20 katholische und evangelische Bischöfe werden nächste Woche in Lübeck erwartet. Am 25. Juni verwandelt sich die Parade der Hansestadt in einen sakralen Ort, an dem die römisch-katholische Kirche unter freiem Himmel drei ehemalige Lübecker Kapläne selig spricht. Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller sind damit als „Blutzeugen“ ihres Glaubens besonderer regionaler Verehrung würdig, weil sie gegen das NS-Regime kämpften und diesen Einsatz mit dem Leben bezahlen mussten. Für den vierten Märtyrer, den evangelischen Geistlichen Karl Friedrich Stellbrink, gibt es unter Beteiligung der evangelischen Kirche ein ehrendes Gedenken, da die Praxis der Selig- und Heiligsprechung bei den Protestanten nicht üblich ist. Bereits am 24. Juni findet zusätzlich ein evangelischer Gedenkgottesdienst in der Lübecker Lutherkirche statt.

„Diese vier Männer zeigen, dass es damals das andere Deutschland gab, das sich nicht gebeugt hat“, sagte der langjährige Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Walter Kasper, der „Welt“. Die Seligsprechung und das ehrende Gedenken werde die Ökumene weiter festigen, betonte Erzbischof Werner Thissen am Mittwoch in Lübeck. Als Gäste erwartet werden auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) und Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD).

Die feierliche Zeremonie beginnt am Sonnabend in einer Woche um 11 Uhr mit einem Pontifikalamt und den Kardinälen Walter Kasper und Angelo Amato sowie Erzbischof Werner Thissen und Bischof Franz-Josef Bode. Von 13 Uhr an folgt ein Fest der Begegnungen auf der Domwiese. Der Sender Bibel TV überträgt das Pontifikalamt live.

Die vier Geistlichen waren am 10. November 1943 im Drei-Minuten-Takt durch das Fallbeil eines NS-Henkers im Hamburger Untersuchungsgefängnis Holstenglacis hingerichtet worden. Sie bildeten nach Ansicht von Historikern die einzige kirchliche Widerstandsgruppe, die über konfessionelle Grenzen hinaus ökumenisch aktiv war. Als die NS-Diktatur immer mehr Schrecken verbreitete, konfessionelle Kindergärten und Schulen in Lübeck geschlossen wurden, fanden sich die vier Männer zusammen.

Höhepunkt ihrer Aktivitäten bildete die gemeinschaftliche Vervielfältigung und Verbreitung der Predigten des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen, in denen er unter anderem die Tötung „lebensunwerten Lebens“ geißelte. Nur kurze Zeit nach den Verteilaktionen wurden die vier Lübecker von der Gestapo verhaftet. Hitler persönlich griff in die Formulierung der Anklageschrift ein und tilgte jeden Bezug zum Bischof von Münster, um keine Gegenreaktionen des Würdenträgers zu provozieren. Die Anklage lautete schließlich auf „Rundfunkverbrechen“, „Zersetzung der Wehrkraft“, „landesverräterische Feindbegünstigung“ und „Verstoß gegen das Heimtückegesetz“.

Erzbischof Werner Thissen war es, der 2004 die Initiative zur Seligsprechung der drei Lübecker Kapläne ergriff. Papst Benedikt XVI. entschied relativ zügig – die offizielle Seligsprechung wird nun das herausragende kirchliche Ereignis des Jahres in Lübeck. In besonderer Weise hat Kardinal Walter Kasper Leben und Werk der Lübecker Märtyrer wach gehalten. Er hält bei der Zeremonie die Predigt, während der evangelische Bischof Gerhard Ulrich – als Zeichen ökumenischer Verbundenheit – ein geistliches Wort an die Gläubigen richtet.