Neue Hamburger Bischöfin Fehrs bietet Missbrauchsopfern Gespräche an

Bischöfin Kirsten Fehrs erläutert im ersten großen Interview nach der Wahl ihre künftigen Pläne – Betroffene sollen Bedingungen stellen

 

Quelle: Mein Interview in der WELT, 21. Juni 2011, Hamburg-Ausgabe

Von Edgar S. Hasse

Nach ihrer Wahl zur Hamburger und Lübecker Bischöfin bereitet sich Kirsten Fehrs auf ihr neues Amt an der Spitze von 900 000 evangelischen Christen vor. Derzeit arbeitet die 49-Jährige noch als Hauptpastorin an St. Jacobi und Pröpstin im Kirchenkreis Hamburg-Ost. In ihrem ersten großen Interview nach der Wahl am vergangenen Freitag erläutert Kirsten Fehrs in der „Welt“ ihre künftigen Pläne und ihr Selbstverständnis als evangelische Bischöfin. Fehrs hatte sich im vierten Wahlgang gegenüber ihrer Mitbewerberin Petra Bahr durchgesetzt. Die Amtsübernahme ist für Anfang bzw. Mitte November geplant.

  

DIE WELT:

Wie haben Sie die Stunden und das Wochenende nach Ihrer Wahl am vergangenen Freitag erlebt?

Kirsten Fehrs:

FEHRS: n der Nacht danach kamen ungefähr 60 Mails mit Glückwünschen. Freunde und Verwandte haben mich angerufen oder eine SMS geschickt. Am Wochenende bin ich mit meinem Kirchenvorstand von St. Jacobi in das Ratzeburger Domkloster gefahren. Wir haben dort eine gemeinsame Zeit verbracht, uns gefreut, aber auch getrauert, weil ich die Position als Hauptpastorin von St. Jacobi nun aufgeben muss. Die Jacobiten sind einerseits sehr stolz, aber auch sehr traurig.

Warum waren bei der Bischöfinnenwahl vier Wahlgänge nötig? Das ist doch sehr viel.

FEHRS: Weil mit Petra Bahr, der EKD-Kulturbeauftragten, und mir zwei starke Kandidatinnen zu Wahl standen. Wir haben großen Respekt voreinander gehabt und die jeweils ganz andere Profilierung anerkannt. Persönlich ist uns beiden die Konkurrenzsituation nicht an die Substanz gegangen. Und das soll uns erst mal einer nachmachen! Es gab dann einen Wahlausgang, bei dem Petra Bahr in keinster Form beschädigt wurde.

20 Synodale sind nicht zur Bischofswahl erschienen. Ist das nicht auch ein Grund dafür, dass so viele Wahlgänge nötig waren?

FEHRS: Dass so viele nicht angereist waren, hat mich überrascht. 20, die nicht kommen – das macht mich nachdenklich.

Ein Ausdruck des Protestes, dass es keine männlichen Kandidaten gab?

FEHRS: Ich kann das nicht interpretieren. Da fehlen mir die Informationen. Nur: Ob das tatsächlich eine Aussage hat, das sollte man prüfen. Bei einer Bischofswahl nicht zu erscheinen und keinem Vertreter oder einer Vertreterin Bescheid zu geben, hat mich merkwürdig berührt.

Wie wollen Sie sich künftig als Hamburger und Lübecker Bischöfin in Nordelbien und in der Nordkirche positionieren? Denn viel Macht haben Sie in dieser Funktion nicht.

FEHRS: Dieses Amt ist zwar mit relativ wenig Macht ausgestattet, was die verfassungsrechtlichen Instrumentarien betrifft. Die entscheidende Machtrolle im positiven Sinne besteht aber darin, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und zu bleiben. Ich möchte als Bischöfin öffentlich und kirchlich bedeutsame Themen setzen.

Das kann sehr arbeitsintensiv werden. Frau Jepsen hatte eine 70-Stunden-Woche.

FEHRS: Schon als Pröpstin und Hauptpastorin habe ich die 60- bis 70-Stunden-Woche. Das ist für mich nichts Neues. Die Menge der Arbeit schreckt mich nicht.

Was werden Sie anders machen als die ehemalige Bischöfin Maria Jepsen?

FEHRS: Diese Frage impliziert eine Wertung der Arbeit von Frau Jepsen. Und die möchte ich positiv so beschreiben, dass sie es geschafft hat, die Randständigen in unserer Gesellschaft mit einer großen Würdigung zu versehen. Das sollte auch in meiner Amtszeit so weitergehen. Zugleich werde ich mich darum bemühen, die Beziehungen zu den Senaten in Hamburg und Lübeck, zur Handelskammer in Hamburg und zur Industrie- und Handelskammer in Lübeck und anderen Institutionen auszubauen. Also den Ebenen, in denen über Politik und Wirtschaft in unserer Gesellschaft entschieden wird. Auch gilt, dass sich die Kirche in die Meinungsbildungsprozesse einklinken sollte. Es gibt so etwas wie eine gemeinsame Verantwortung. Wir als Kirche sind Teil der Polis, der Gesellschaft, in die wir uns einbringen sollten.

Wollen Sie eine zweite Margot Käßmann werden?

FEHRS: Das will ich nicht. Frau Käßmann ist für sich ein Unikat. Ich würde schon schauen, dass ich einen starken Schwerpunkt auf das nicht öffentliche Gespräch setze.

Zum Beispiel auch mit den Opfern sexuellen Missbrauchs in Ahrensburg?

FEHRS: Zunächst ging es darum, die Fälle juristisch und disziplinarrechtlich aufzuklären. Aber es gibt auch eine menschliche Seite, die ich als Bischöfin in den Blick nehmen möchte: Respekt gegenüber den Opfern zu haben. Wobei ich den Begriff Opfer ungern benutze, weil er etwas Stigmatisierendes hat. Als wäre ein Opfer nur ein Opfer. Dieser Mensch hat doch auch ein Bedürfnis nach Normalität! Der Respekt gegenüber den Opfern schließt daher ein, die Bedingungen eines solchen Gespräches von ihnen selbst bestimmen zu lassen.

Gibt es von Ihrer Seite also ein Gesprächsangebot?

FEHRS: Ich bin gesprächsbereit.

Ab wann?

FEHRS: Nach meinem Dienstantritt im November. Ich würde mich freuen, wenn einzelne Betroffene auf mich zukommen. Auf eine solche Gegenseitigkeit kommt es an. Ich will das aber nicht so verstehen, dass ich verlange, gefragt werden will. Sondern ich meine das ausdrücklich als Respektsbezeugung: Ich signalisiere unbedingt Gesprächsbereitschaft, die die anderen annehmen können, und zwar zu ihren Bedingungen.

Bekanntlich ist es in diesen Zeiten schwierig, Menschen für den Glauben zu gewinnen. Wie wollen Sie gerade jüngere Menschen erreichen?

FEHRS: Zunächst müssen wir uns als evangelische Kirche glaubwürdig zeigen. Das hat auch etwas damit zu tun, sich in die Themen der Gesellschaft einzumischen. Darüber hinaus beobachte ich, dass sehr viele Menschen eine Sinnfrage und damit eine religiöse Frage in sich bewegen. Das beste Beispiel ist die Pilgerbewegung, wie wir sie an St. Jacobi wahrnehmen. Da kommen viele junge Abiturienten als Pilger zu uns, aber auch die über 60-Jährigen, die ihre Fragen an das Leben und den Glauben haben.

Also ist die Pilgerbewegung eine missionarische Aufgabe?

FEHRS: Es ist vor allem missionarische Arbeit!

Ist die Pilgerarbeit ausbaufähig?

FEHRS: Sie wird bereits noch in diesem Jahr ausgebaut, weil es dann für ganz Nordelbien einen Pilgerpastor gibt. Ausbaufähig ist zum Beispiel das Pilgern mit Kindern und Jugendlichen als eine Unterstützung von Identitätsfindung und als Gegenprogramm von Meditation und Ruhe gegen die Reizüberflutung.

FEHRS: Sie haben häufig bei Ihrer Kandidatur davon gesprochen, als Bischöfin die Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche zu thematisieren. Wie kann Kirche aber glaubwürdig sein, da diese Institution selbst vermögend ist und mit den Kirchensteuern über Privilegien verfügt?

FEHRS: Man kann über die Kirchensteuer sicher geteilter Meinung sein. Doch die Trennung von Staat und Kirche und das Kirchensteuersystem garantieren uns die Unabhängigkeit unserer Arbeit. Es ermöglicht und garantiert Pluralität und Freiheit.

Hat die neue Bischöfin ein Motto für die kommende Amtszeit?

FEHRS: Um mit dem Apostel Paulus aus der Bibel zu sprechen: Ich möchte eine Gehilfin der Freude sein. Und damit eine Bischöfin der Lebensbejahung.

Das Gespräch führte Edgar S. Hasse

 

 

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