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Wie sicher sind unsere Lebensmittel? Antworten eines Lebensmittelchemikers

Hamburger School of Food Science will zum Anwalt der Verbraucher werden

Von Edgar S. Hasse
(Quelle: Welt am Sonntag, Nordausgabe, 31.8.2011 
 

Eine der aktuellen Erkenntnisse zum Thema Lebensmittelechtheit lautet: Es ist nicht alles Käse, was wie Käse aussieht. Schlimmer noch: Manchmal hat der Verbraucher nur ein Imitat im Essen. Vor zwei Jahren wurden Fälle von Verbrauchertäuschung mit Analog-Käse auf Pizzen und Lasagnen bekannt. Bei dem Belag handelt es sich um Kunstkäse, Käseersatz oder Käseimitat. Das Milchfett wird durch pflanzliche Produkte ersetzt. Tatsächlich aber erwecken Lebensmittel, die mit solchen Stoffen hergestellt wurden, beim Verbraucher den Eindruck von echtem Käse.
 
Verstöße wie diese sind eine Herausforderung für Professor Markus Fischer und sein Team. Der Wissenschaftler leitet das Institut für Lebensmittelchemie (Fachbereich Chemie) an der Universität Hamburg und kommt bei entsprechenden Aufträgen den schwarzen Schafen in der globalisierten Lebensmittelindustrie mit neuen analytischen Methoden auf die Spur.
 
Um Ausbildung und Forschung, aber auch Wissenstransfer in die Gesellschaft zu optimieren, hat Fischer jetzt die „Hamburg School of Food Science“ gegründet. Ziel ist es unter anderem, die Lebensmittelsicherheit ganzheitlich zu betrachten. „Das betrifft die gesamte Produktions- und Vertriebskette vom Erzeuger bis zum Verbraucher“, sagt der Wissenschaftler. „Also ‚from farm to fork‘. Darüber hinaus werden wir wissenschaftlich fundierte Öffentlichkeitsarbeit betreiben, so dass die Verbraucher optimal aufgeklärt werden“, sagt er.
 
Markus Fischer  sitzt in seinem Büro in der Grindelallee, an einem Haken an der Wand hängt ein schneeweißer Kittel für die Arbeit im Labor. Auf der anderen Seite des Flures sind Institutsangehörige hinter verschlossenen Türen mit chemischen Analysen beschäftigt. Es gibt viel zu tun in dem neuen Institut, denn das Bewusstsein für Lebensmittelsicherheit ist in der Gesellschaft kontinuierlich gewachsen.
Seit Jahren fühlen sich die Verbraucher immer neuen Lebensmittelskandalen ausgesetzt. Die Unsicherheit steigt. So wurden im Mai 2010 die Dioxin-Grenzwerte bei Bio-Eiern überschritten. Ebenfalls im vergangenen Jahr lösten Listerien-Infektionen durch Rohmilchkäse erhebliche Verbraucherängste aus. Nach Informationen des Robert-Koch-Instituts verlief die Krankheit bei rund 30 Prozent der Erwachsenen tödlich.
 
Auch in den Jahren zuvor hatte es reichlich Skandale gegeben: Gammelfleisch, Frostschutzmittel im Wein oder krebserregende Stoffe in Paprikapulver. Von chinesischen Babynahrungsherstellern wurde gar Milchpulver mit Melamin versetzt und dadurch ein erhöhter Eiweißgehalt vorgetäuscht. „Ein kriminelles Vorgehen mit erheblichen gesundheitsgefährdenden Folgen“, sagt <<Fischer>>.
 
Bei seinen öffentlichen Vorträgen wird der Wissenschaftler häufig von den Zuhörern gefragt, was sie denn in Zeiten zunehmender Nahrungsmittelskandale überhaupt noch essen können. Im Blick auf Deutschland verweist Fischer bei solchen Fragen auf die „sehr gute Lebensmittelüberwachung“ und die „sehr gute Gesetzgebung“. Und auf die heimischen Supermärkte. „Die Produkte dort werden durchweg von Markenherstellern und Eigenmarken großer Lebensmittelketten dominiert. Und die haben alle ein großes Interesse an sicheren Lebensmitteln.“ Seine Einschätzung: „Skandale kann sich keines der Unternehmen leisten.“ Eine Herausforderung für die Kontrolle ist seiner Ansicht nach allerdings die Globalisierung der Ernährung. Die EHEC-verunreinigten Bockshornkleesamen aus Ägypten und die schweren Nierenerkrankungen als schlimmste Folge sind nur ein Beispiel dafür, welches Ausmaß der internationale Warentransfer inzwischen hat. Wichtig sei es deshalb, dass die europäischen Qualitätsstandards auch in den anderen Erzeugerländern Geltung erlangen. „Außerdem sind die Herkunftsnachweise der Produkte notwendig.“
 
Wie weit die Forschung am Institut fortgeschritten ist, macht Fischer mit den erfolgreich erprobten Methoden zur Bestimmung von Weizenanteilen in Dinkelprodukten deutlich. Nach den Leitsätzen für Brot und Kleingebäck dürfen Dinkelbrote und -brötchen maximal zehn Prozent andere Getreidearten enthalten. Doch in einigen Produkten wird dieser Anteil überschritten. Grund dafür kann eine unbeabsichtigte Vermischung bei der Verarbeitung, aber auch eine absichtliche Streckung aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Erhöhung der Backfähigkeit sein.
 
„Wir haben nun quantitative Methoden entwickelt, um den Weizenanteil in Dinkelprodukten auf DNA-Basis zu bestimmen.“ Damit ist es möglich geworden, die Verbraucher vor Täuschung zu schützen. Und den Mühlen und der Backindustrie Möglichkeiten zu geben, die Qualität ihrer Rohstoffe zu überprüfen. Ähnliche Herausforderungen stellen sich bei Produkten aus Kakao. Auch hier wurden molekularbiologische Methoden entwickelt, um die Qualität zu sichern.
 
Damit die Verbraucher vor dem Verzehr ihrer Nahrung umfassend informiert werden, plädiert Fischer für die genaue Kennzeichnung der Lebensmittel. Er könne zwar die Motivation von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner verstehen, Lebensmittel auf der Grundlage einer dreifarbigen Ampel zu kennzeichnen. „Doch das bringt zu viel Vereinfachung mit sich. Als Wissenschaftler halte ich Zahlenwerte für notwendig – und damit genaue Nährwertangaben.“
 
Seine persönlichen Ernährungsgewohnheiten musste der Lebensmittelchemiker angesichts der Skandale nicht ändern. Seit Jahren isst er viel Gemüse und Obst, wenig Wurst, wenig Fleisch, keine Innereien. Und am liebsten greift er auf regionale Produkte zurück. Das passt: Ernährungsexperten raten genau dazu.