Archiv der Kategorie: Publizistik & Medien

Jörg Pilawa – Mittagsschlaf ohne Höhenangst. ZDF-Moderator wirbt für Kirchentag in Hamburg

Von Edgar S. Hasse

Quelle: Hamburger Abendblatt, 30. Januar 2013

 Klettern bis in die Koje: TV-Moderator Jörg Pilawa, 47, verbrachte seine Mittagspause in einem Steilwandbett (Portaledge) – sechs Meter hoch an einer Kletterwand in der Wilhelmsburger Nordwandhalle. In zwei Minuten war der beliebte ZDF-Moderator vor laufenden Kameras und gut gesichert nach oben gestiegen, um demonstrativ nach einem Schluck Kaffee zu schlummern. „Ein bisschen wie Dschungelcamp, nur zivilisierter“, sagte Pilawa nach seinem sicheren Abstieg.

Zu dem großen Christentreffen in Hamburg werden in der Zeit vom 1. bis 5. Mai rund 100.000 Gäste erwartet und insgesamt 12.000 Privatquartiere gesucht. Weil derzeit gerade einmal 2716 Schlafplätze vergeben sind, werben die Kirchentagsmacher mit der Kampagne „Koje frei?“ um weitere 9300 Betten bei den Hamburgern. „Ich unterstützte die Kampagne deshalb gern, weil viele junge Leute nach Hamburg kommen werden. Die sollen doch auch vernünftig schlafen und sozialen Anschluss haben“, sagte der katholische Christ. Er werde mit seiner Frau und den Kindern diskutieren, ob sie selbst Gäste aufnehmen. „Das entscheidet der Familienrat in den nächsten Tagen.“ Pilawas Gäste müssten auf jeden Fall kinderlieb sein. Jörg Pilawa ist Vater von vier Kindern im Alter von knapp zwei bis 15 Jahren. Eventuell wollen die Pilawas ein Kinderzimmer räumen, damit die Kirchentagsgäste aufgenommen werden können. „Die bekommen auch ein buntes Frühstück.“ Allerdings sollte, so hofft er, die Bettenzentrale bei der Zuweisung der Gäste besonders sorgfältig sein. Er möchte keineswegs, dass in sozialen Netzwerken öffentlich mitgeteilt wird, wie die Pilawas wohnen.

Über Gott und die Welt, Kirche und Glauben reden die Pilawas seit einiger Zeit häufiger. Und zwar mit gutem Grund: Seine Ehefrau Irina – eine Tochter des bekannten Freizeitforschers Professor Horst W. Opaschowski – ist evangelisch, die Kinder sind ebenfalls evangelisch getauft. Jörg Pilawa aber ist römisch-katholisch. In wachsendem Maße, gesteht er, werde ihm diese Konfessionszugehörigkeit zum „echten Problem“. Gerade vor dem Hintergrund der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und deren Umgang damit stellt sich dem Moderator die Frage, ob er weiterhin der katholischen Kirche angehören will. „Wenn keine lückenlose Aufklärung erfolgt, ist das eine Katastrophe. Ich bin auch darüber erschüttert, dass die Bischofskonferenz die Zusammenarbeit mit dem niedersächsischen Kriminologen Pfeiffer beendet hat.“ Er hofft nun, dass in Sachen Aufarbeitung noch „extrem viel passiert“, damit er der katholischen Kirche die Treue halten kann. Schließlich hat er auch erlebt, wie viel Hilfe und Trost der Glaube und die Kirche geben können. Zum Beispiel damals, als sein katholischer Vater schwer krank war. Mit dieser christlichen Hoffnung ist Jörg Pilawa aufgewachsen; sie gibt ihm auch heute noch Kraft. Damit religiöse Gleichberechtigung bei den Pilawas herrscht, sind die Gottesdienstbesuche übrigens klar aufgeteilt.

Das eine Mal geht es zu Weihnachten in den katholischen Dom St. Marien, das andere Mal in die evangelische-lutherische Gemeinde St. Petri und Pauli nach Bergedorf. Pilawa pflegt zu dem dortigen Pastor ein freundschaftliches Verhältnis. Und sagt bei solchen Gesprächen öfter, was er sich – wie viele Christen – von Herzen wünscht: dass es ein gemeinsames und nicht mehr getrenntes Abendmahl (Eucharistie) gibt. „Das“, hofft der TV-Moderator, der eben noch in der Koje an der Kletterwand geschlummert hat, „muss unser großes Ziel sein.“ Schließlich seien sie doch alle Christen. Jörg Pilawa ist nicht der einzige Prominente, der momentan für die Kirchentags-Kampagne „Koje frei?“ wirbt. Zu den Unterstützern und Gastgebern gehören zum Beispiel die Publizistin Maria von Welser und der Präsident der Handwerkskammer, Josef Katzer.

Die Kirchentagsgäste gelten als nicht sehr anspruchsvoll und sind schon mit einem einfachen Schlafplatz zufrieden, heißt es bei den Organisatoren. Wenn es richtig losgeht, will Jörg Pilawa einige Veranstaltungen auf dem Kirchentag besuchen. Vielleicht hat er dann auch Lust, wieder in der Nordwandhalle zu klettern. Wie seine Tochter, die dort regelmäßig gerne trainiert. „Allerdings müsste ich dann fünf Kilo weniger wiegen. Dann macht das noch mehr Spaß.“

Buchtipps für die Advents- und Weihnachtszeit

 

Von Edgar S. Hasse

Drei Buchtipps für die Advents- und Weihnachtszeit 2012

1. ) Christine Eichel: Das deutsche Pfarrhaus, Quadriga Verlag,

Was haben der Schauspieler Peter Lohmeyer, Kanzlerin Angela Merkel und der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung gemeinsam? Stimmt – sie stammen aus einem evangelischen Pfarrhaus und sind aufgewachsen in einem „Hort des Geistes und der Macht“. So zumindest lautet der Untertitel jener subtilen kulturgeschichtlichen Innenschau über das deutsche Pfarrhaus, das die frühere „Focus“-  und „Cicero“-Kulturchefin Christine Eichel, selbst Pfarrerstochter, jetzt vorgelegt hat.  Was bei C.G. Jung in der radikalen Abgrenzung vom Vater und seinem theologischen Denken endete, trägt bei Angela Merkel in der Götterdämmerung ihrer Kanzlerschaft späte Früchte:  Im ostdeutschen Pfarrhaus, so die Autorin, habe sie gelernt, Selbstdisziplin zu üben. Denn sie stand – wie alle Pastorenkinder und ihre Eltern – gleichsam unter Dauerbeobachtung.   Christine Eichel lotet aus geistes- und kulturgeschichtlicher Perspektive die Ambivalenzen einer protestantischen Institution aus, die zwischen gesellschaftlicher Anpassung und Widerstand changiert, aber auch Ethos provoziert und Idyll generiert. Selbst die tragischsten Biografien, etwa die gewaltsame Revolte der RAF-Terroristin und Pfarrerstochter Gudrun Ensslin, werden in diesem Buch nicht  ausgespart.  Am Ende der profunden und sprachlich prägnanten Darstellung begründet die Autorin, warum sie an die Zukunft des  Pfarrhauses in der Postmoderne glaubt. Weil es   – sie verweist auf Bundespräsident Joachim Gauck – in seinem ethischen Handeln von einem „Hoffnungsüberschuss“ her lebt. Und Gauck muss es ja wissen: Schließlich ist er selbst Pastor gewesen.

Christine Eichel: Das deutsche Pfarrhaus. Hort des Geistes und der Macht, Berlin 2012, Quadriga Verlag, 367 Seiten, 22,90 Euro.

2. ) Adventskalender 2012 von ANDERE ZEITEN (Preis: 8 Euro)

Zum Nikolaustag eine CD mit den schönsten Adventsliedern, am 18. Dezember „Das Märchen vom Glück“ von Erich Kästner. Und am 1. Weihnachtsfeiertag ein mittelalterlicher Text mit einem futuristischen Rolltreppenfoto. Es ist viel los in der Adventszeit – selbst im Bestseller vom ökumenischen Verein „Andere Zeiten“.

Der Adventskalender „Der Andere Advent“ erfreut sich seit Jahren wachsender Beliebtheit im deutschsprachen Raum. Die Kalendermacher laden vom 1. Dezember an dazu ein, die Advents- und Weihnachtszeit besinnlich zu begehen. Und nicht im Konsumrausch, sondern mit exzellenten Fotos jenseits postmodernistischen Mainstreams und mit klarer Haltung in der Auswahl kultureller Texte.

 

3. )  „Vom Anfang im Ende. Ein Trostbuch für Tage in Moll“ (7,50 Euro), hrgs. von Thomas Kärst, Andere Zeiten Hamburg

Aus dem gleichen Hause stammt das „Trostbuch für die Tage in Moll“, pünktlich vor den grauen norddeutschen Novembertagen herausgegeben. Unter der Redaktion von „Andere-Zeiten“-Chef Pastor Thomas Kärst ist auch hier eine Sammlung von Poesie, Prosa und Aphorismen entstanden, die den großen Fragen des Lebens und Sterbens nachspüren wollen. „Traurigsein“, sagte einmal die Künstlerin Paula Modersohn-Becker, „ist wohl etwas Natürliches. Es ist wohl ein Atemholen zur Freude, ein Vorbereiten der Seele dazu.“ Das Trostbüchlein hilft dabei, sich in den Fragen der Generationen wiederzuerkennen – und die eine oder andere Antwort zu erhalten. Es ist für alle geeignet, die sich selbst in der lichterhellen Adventszeit noch nicht tief genug getröstet wissen.

Bestellungen für Kalender und Trostbuch: www.anderezeiten.de

 

Das Wunder von St. Katharinen – Wie eine Hamburger Hauptkirche mit Spendenmitteln rekonstruiert wurde

Von Edgar S. Hasse

 

 

Bildrechte: siehe oben

Quelle: WELT am SONNTAG, 2.12.2012 (http://www.welt.de/print/wams/hamburg/article111757530/Erfolg-einer-Spendensammlerin.html)

Auf diesen Moment freut sich Hauptpastorin Ulrike Murmann besonders: Wenn sie an diesem Sonntag mit Kreuz und Bibel und Bischöfin Kirsten Fehrs feierlichen Schrittes in St. Katharinen einzieht. Frisch renoviert, in strahlendem Weiß und mit gold funkelnden Sternen am Firmament des Kirchenschiffes, wird der sakrale Bau mit einem Festgottesdienst eingeweiht. Und wenn die Pröpstin und Pastorin beim Einzug auf das Gloria-Fenster über dem Altar schaut, dann, sagt sie, „kann ich mir gut vorstellen, dass mir dabei der Atem stockt“.

 

Es sind erhebende Momente nach fünf Jahren umfangreicher Sanierung, bei der jeder einzelne Stein jenes Gotteshauses untersucht und dokumentiert wurde, dessen Anfänge auf das Jahr 1256 zurückgehen. 23 Millionen Euro Spendengelder wurden in die mittelalterliche Kirche am Hafen investiert.

Dass die Sanierung der baufälligen Katharinenkirche ein solches Mammutprojekt werden würde, hat sich die Theologin bei ihrem Amtsantritt nicht vorstellen können. Kaum war die frühere Referentin von Bischöfin Maria Jepsen 2004 in ihr Amt als Hauptpastorin und Pröpstin eingeführt, lag das bauliche Gutachten über den wahren baulichen Zustand der Kirche vor.

„Ein Schock“, erinnert sie sich. Nicht nur die Schäden ließen für die Zukunft Böses ahnen. Auch die Sanierungskosten lagen für die Kirchengemeinde mit gerade mal 600 Mitgliedern in utopischer Höhe. Experten rechneten mit mindestens 13,5 Millionen Euro für die Außenrenovierung.

Doch woher das Geld nehmen?

Also begann für Ulrike Murmann, ihre Mitarbeiter und den Kirchenvorstand die wohl wichtigste Basisarbeit: Spenden sammeln. Ein Fundraising-Konzept mit einer professionellen Spendensammlerin musste erstellt, neue Sponsoren und Spender entdeckt und ein Freundeskreis für St. Katharinen aufgebaut werden. „Gut zwei Jahre hat es gedauert, bis das Früchte trug.“ Höhere Beträge kamen von Hamburger Stiftungen, Unternehmen und privaten Spenden. 6,5 Millionen Euro steuerte der Bund zur Sanierung bei; das Land Hamburg stellte 3,5 Millionen Euro bereit.

Ulrike Murmann führte viele persönliche Gespräche mit potenziellen Spendern – in ihren Büros genauso wie in Restaurants und privaten Wohnzimmern. „Es war mir nicht immer ganz leicht gefallen, andere um Unterstützung zu bitten“, sagt sie.

Aber ihre Argumente überzeugten. Sie erzählte, warum es sich lohnt, diese Kirche an diesem maritimen Ort zu erhalten. Sie berichte darüber, welche Rolle St. Katharinen als Hafencity-Kirche künftig spielen soll. Und sie gab ihren Gesprächspartnern das Gefühl, dass sie mit der Spende etwas Gutes, Sinnvolles tun können. „Ich bin dankbar für dieses Vertrauen“, sagt sie.

Als die Bauarbeiter und Orgelbauer, Architekten und Archäologen anrückten und jeder auf seine Weise an diesem Projekt mitwirkte, erlebte sie spürbare Freude bei allen Akteuren. Dass zwischendurch mal falsche Steine geliefert wurden und die Bauarbeiten stockten, ließ die Hauptpastorin zwar manchmal am Zeitplan zweifeln. „Insgesamt aber habe ich bewundert, mit welchem Enthusiasmus alle mitarbeiteten. Viele Handwerker haben es als besonderes Geschenk empfunden, an der Erneuerung dieser Kirche mitbauen zu dürfen“, erzählt sie.

Was dabei unter anderem ans Tageslicht kam, zeigt die Hauptpastorin und Pröpstin im Kirchenkreis Hamburg-Ost bei einem Rundgang durch das Gotteshaus mit Begeisterung: die Reste eines noch gut erhaltenen Portals aus dem Jahr 1340. Das rechte Foto auf dieser Seite ist die erste öffentliche Aufnahme dieser kunsthistorischen Entdeckung. Das historische Portal soll künftig als „Außenvitrine“ sichtbar bleiben, von Experten weiter erforscht und mit einer Informationstafel ausgestattet werden.

Nun präsentiert sich St. Katharinen schön wie einst. Und außerdem noch komfortabel für die Besucher. Es gibt eine neue Fußbodenheizung und bequeme Stühle, eine bessere Akustik und bald sogar eine neue Orgel. Die Einweihung jener rekonstruierten Barockorgel, auf der schon Johann Sebastian Bach spielte, ist für Juni nächsten Jahres vorgesehen.

Die 51-jährige Hauptpastorin ist fasziniert von dem neuen, blendend weiß rekonstruierten Kirchenraum mit den zwölf Säulen. „Dieser erhebende Raum strahlt mit seiner lichten Klarheit Würde aus. Und obwohl er so hoch ist, fühlt man sich nicht verloren“, sagt sie. Nun werden hier wieder Gottesdienste, Konzerte, Vorträge stattfinden und neue Veranstaltungskonzepte erprobt.

Allerdings muss Hauoptpastorin Ulrike Murmann auch in den nächsten Monaten wieder ein bisschen als Spendensammlerin unterwegs sein. 3,5 Millionen Euro fehlen noch. Schließlich sollen auch die Turmhalle und die Büros noch wieder fein gemacht werden.

 

Bischöfin Fehrs ein Jahr im Amt – ein Rückblick

Von Edgar S. Hasse

Mein Beitrag in der WELT, 14. November 2012,

http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article111020954/Die-Menschen-suchen-meine-Zuwendung.html

Fast jeden Morgen um sieben Uhr läuft sie um die Alster. 45 Minuten lang ist Bischöfin Kirsten Fehrs (51) mit sich und ihren Gedanken allein. Es ist ihr täglicher Lauf zu sich selbst – damit Klarheit und Energie wachsen für das, was kommt: Ein Arbeitstag von mehr als zwölf Stunden. Zwei bis drei Stunden Sitzungen pro Tag. Telefonate und öffentliche Termine. Predigten und Andachten vorbereiten, meist bis 22 Uhr. Als Letzte in der Bischofskanzlei knipst sie das Licht aus.

Seit genau einem Jahr ist die frühere Hauptpastorin und Pröpstin als Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck im Amt. Zwölf harte Monate liegen hinter ihr, die von der Aufarbeitung des Ahrensburger Missbrauchsskandals dominiert und überschattet waren. Doch nicht nur das: „Es gab natürlich noch viele andere Themen und Herausforderungen, zum Beispiel die Ausgestaltung der Nordkirche“, sagt die Nachfolgerin von Maria Jepsen. Wenn Gott eine Managerin für die großen und kleinen Krisen seiner Kirche zwischen Nord- und Ostsee braucht, dann ist sie es, diese zierlich wirkende, aber kämpferische Frau.
Regelmäßig am Donnerstag trifft sich ihr Mitarbeiterstab in der Bischofkanzlei in der Hafencity. An einem ovalen Tisch werden die Termine und Probleme besprochen. Denn wöchentlich landen viele Anfragen und Gesprächswünsche im Büro – eine Erfahrung, die ganz im Kontrast zu ihrer vorherigen Arbeit an St. Jacobi steht. Damals, erinnert sie sich, sei es nicht leicht gewesen, mit Themen wie Kirche und Wirtschaft, Kinderarmut und dem Gedenken an Kriminalitätsopfer Aufmerksamkeit zu finden.
Und jetzt, nach einem Jahr Bischöfin? Kirsten Fehrs schaut ihr Smartphone an und sagt: „Jede Woche gibt es acht bis zehn wichtige Terminwünsche.“ Da bitten Wirtschaftsvertreter um Vorträge und offizielle Grußworte. Oder Organisationen, die ihre Veranstaltung mit einer Bischöfin schmücken wollen. Da laden Kirchengemeinden zu Gottesdiensten und Festen ein. Oder da wird die Nordkirche aus der Taufe gehoben, Pfingsten 2012 im sonnigen Ratzeburg.
 
In der Donnerstagsrunde wählen sie und ihre Mitarbeiter die Termine aus. Insgesamt, sagt die Theologin, sei sie positiv davon überrascht, dass protestantische Positionen zu gesellschaftlichen Problemen so gefragt sind. Das hätte sie vorher nicht so vermutet.
„Über mein Amt bekommen die Themen plötzlich Gewicht. Und dies nicht nur aufgrund der höheren Popularität, sondern die Menschen suchen meine Zuwendung als Seelsorgerin.“
Vor allem in der Ahrensburger Kirchengemeinde, gezeichnet und gespalten vom größten Missbrauchsskandal in der nordelbischen Kirche, war die Bischöfin gefordert. Es war wie ein Gang nach Canossa, als Kirsten Fehrs im Frühjahr mit ihrem Bischofskollegen Gerhard Ulrich in der Schlosskirche den Gottesdienst feierte. Mit dieser Art der Aufarbeitung betrat die Bischöfin Neuland, denn die Methode für die Aufklärung des Systems Missbrauchs in der Kirche steht in keinem Lehrbuch. Statt wegzuschauen und eine Entschädigung zu zahlen, will Kirsten Fehrs mit der neuen Nordkirche mehr: „Zuhören, hinschauen, verstehen, in die Abgründe blicken, mitfühlen.“ Mit rund einem Dutzend Opfern hat sie in ihrem ersten Amtsjahr gesprochen. „Ich bin davon sehr berührt gewesen und habe auch wirklich Scham empfunden“, sagt sie. Rückblickend ist sie dankbar für die langen Gespräche mit den Opfern, die sich ihr geöffnet haben. „Und für die Chance, dass wir als Institution Kirche unsere Vergebungsbedürftigkeit ausdrücken können.“
 
Als schwärzester Tag im ersten Amtsjahr wird ihr allerdings jener 7. September in Erinnerung bleiben. Die Kirche hatte gerade eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt und sich mit dem Opferverein auf Unterstützungsleistungen geeinigt. Da wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft gegen frühere leitende Kirchenleute wegen angeblicher Strafvereitelung im Amt ermittelt. Ein Vorwurf, der wenige Tage später wegen fehlender rechtlicher Grundlage zurückgenommen wurde. Was nach diesem juristischen und öffentlichen Vorgehen bleibt, ist bei ihr die bittere Erkenntnis: „Wenn Straftaten verjährt sind, bleibt auch der Kirche nur noch die präzise Aufarbeitung. Das braucht wirklich Zeit, die für die Opfer sehr belastend ist.“
Zum Glück gab es im ersten Amtsjahr viele schöne und positive Erlebnisse. Kirsten Fehrs denkt an die Gottesdienste in den Gemeinden, interessante Begegnungen, aber auch an die Kundgebung auf dem Rathausmarkt, als Hamburg aufstand gegen Rechts. Und sie unter viel Applaus ihre kämpferische Seite gegen Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit zeigen konnte.
Die kleinen Krisen managt sie dagegen zwischendurch. Wenn es mal wieder Konflikte zu schlichten gibt oder sich besorgte Bürger bei ihr melden. Manches von diesen Dingen kann Kirsten Fehrs in der Mittagszeit besprechen und delegieren, wo ein Brötchen reichen muss.
Erst am Abend wird sie zur Ruhe kommen. Dann lässt sie gemeinsam mit ihrem Mann Karsten, einem Pastor, den Tag Revue passieren. Immer häufiger geht es jetzt um den Kirchentag, der im nächsten Jahr in Hamburg stattfindet.
Das Motto „Soviel du brauchst“. Diese Vorstellung bereitet der Bischöfin ein bisschen Vergnügen: „Der Eröffnungsgottesdienst soll voraussichtlich vor der Elbphilharmonie stattfinden.“

Kokain und mehr als 20 Jahre Knast: Das Leben des „Schneekönigs“ Ronald Miehling

Quelle: mein Beitrag in der WELT am SONNTAG, 4. November 2012, Hamburg-Ausgabe
 
Ronald Miehling raucht. Der „Schneekönig“ und einst mächtigste Kokainhändler Deutschlands, steht am Hafen, die TV-Kamera zoomt, wie er das Nikotin inhaliert. Es ist kein Koks, es sind keine harten Drogen. Der 62-Jährige muss strenge Auflagen im offenen Vollzug erfüllen und genießt die kleine Freiheit genauso wie die Aufmerksamkeit des NDR-Kamerateams. Ronald Miehling wird den Filmleuten von seinen illegalen Geschäften mit Kokain erzählen. Film ab, Kamera läuft.
 
Weltweit spannte er sein kriminelles Netz. Damals, in den 90er-Jahren, als er über einen Hofstaat von 50 Leuten herrschte. Als ihm die Frauen zu Füßen lagen im Rahlstedter „Club Aphrodite“. Und er in Champagner badete. Wozu man immerhin 400 Flaschen braucht.
 
Am 7. November sendet das NDR-Fernsehen die Dokumentation „Der Schneekönig“ (24 Uhr). Eine 80 Minuten lange Alltagsskizze über die Karriere eines skrupellosen Verbrechers und nach NDR-Angaben ein „ungeschminkter Blick in das Leben eines Mannes, der von seinen kriminellen Taten keinen Abstand nimmt und nichts bereut“.
Dabei begann das Leben des Barmbeker Jung in einem gesetzestreuen Elternhaus. Schließlich arbeitete sein Vater als Bereitschaftspolizist. Aber die ganze bürgerliche Enge mit der überkorrekten Nachbarschaft – das war nichts für einen wie den jungen Miehling. Er wollte immer das ganz große Ding drehen. Und vor allem gegen Gebote, Gesetze und Konventionen verstoßen. „Ich war ein Draufgänger, ich wollte was erleben und genau das machen, von dem alle sagen: Du, du, du, das darfst du aber nicht.“
Er tat es dennoch. Wurde Zuhälter und machte wenig später etwas mit Drogen. Jahrelang. „Von allen illegalen Geschäften brachte Koks das meiste Geld“, sagt der Mann, den sie noch heute „Blacky“ nennen. In den 80er- und 90er-Jahren kommt sein kriminelles Geschäftsmodell vollends zur vollen Blüte. Warum auch viel arbeiten, wenn man mit einem Gramm Koks 100 Mark verdienen kann? Und ein bisschen gestreckt, lässt sich aus dem Zeug noch mehr herausholen. „Ich bin kriminell geworden, weil ich es so wollte, weil ich ein Abenteuer gesucht habe.“ Er reiste nach Amsterdam, nahm erste Kontakte auf und flog nach Kolumbien. Dort spannte der Hamburger sein enges Netz von Kontakten zu Dealern, Bankräubern, Zuhältern.
 
Mehr als ein Tonne Kokain lässt er insgesamt nach Deutschland schmuggeln. Die narzistische Hamburger Schickeria kaufte gerne seine Ware ab. Koks, bekennt der Miehling-Biograf Helge Timmerberg, „dreht alles und alle um – Freunde zu Vampiren, Sex zu Sado/Maso, Dialoge zu Monologen, Engagement zu Heuchelei“. Vor allem aber ist das Ganze verboten, doch einer wie Miehling schert sich nicht darum.
Lange Zeit versuchte die Polizei, dieses Drogenkartell zu sprengen. Bis es den Beamten 1994 gelang, den Kokainhändler in Venezuela festzunehmen. Was danach folgte, entstammt nicht dem Drehbuch des Drogenkönigs. Jetzt gab der Rechtsstaat vor, was zu tun ist: Nach seiner Auslieferung nach Deutschland wurde er zu mehr als zwölf Jahren Haft verurteilt. Santa Fu und keine schnellen Autos mehr. Hinter Gittern nutzte Miehling die Zeit zum Nachdenken, an dessen Ende eine Art Autobiografie stand. Redigiert und in lesbare Form gegossen, erschien sie in mehreren Auflagen im Jahr 2004. Ebenso ehrlich wie provozierend beschreiben Miehling und Co-Autor Timmerberg im Rückblick jenes Leben zwischen Korruption, Drogengeld, Plastiktüten und Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Bis die Polizei diesem Kriminellen das Handwerk legt.
Der NDR-Film hat für das Psychogramm bewusst die Täterperspektive gewählt. Dabei bestand die Gefahr gerade darin, diese kriminelle Karriere zu überhöhen. „Doch wir haben darauf geachtet, nicht die Neutralität zu verlieren“, sagt Co-Autor Johannes Edelhoff. Denn es hätte im extremen Fall daraus eine Heldensaga werden können. Oder lediglich ein Polizeibericht, eine Akte. „All das aber wollten wir nicht.“
So ist aus den Gesprächen mit dem Täter ein sehr wechselhafter Film geworden, eine Alltagsskizze, gezeichnet von den Abgründen menschlicher Existenz. Insgesamt mehr als 20 Jahre hat der Mann, der sich selbst zum Gesetz erklärte, hinter Gittern verbracht. Zwar war er 2003 vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Doch einer wie der „Schneekönig“ konnte gar nicht anders, als wieder rückfällig zu werden. 2005 wurde Miehling erneut wegen Kokainhandels im großen Stil in Bramfeld verhaftet. Es ging um insgesamt 50 Kilo Rauschgift im Einkaufswert auf dem Drogenmarkt von 1,25 Millionen Euro. Der Staatsanwalt warf dem Angeklagten sechs Fälle vor. Unter seiner Regie soll der Stoff von einem Lieferanten aus Kolumbien per Schiff nach Antwerpen und danach über Kuriere weiter verkauft worden sein. Das Landgericht verurteilte den Drahtzieher zu sieben Jahren und neun Monaten Haft. Außerdem muss er eine Reststrafe verbüßen.
Ein Jahr lang haben die NDR-Autoren Johannes Edelhoff und Timo Großpietsch den Ex-Drogenboss begleitet. Wie er von Santa Fu aus jeden Tag widerwillig einer Arbeitsmaßnahme nachgeht. Wie er auf seinen Freigängen alte kriminelle Freunde trifft. Und wie er sich auf ein Leben nach dem Gefängnis vorbereitet.
Gibt es das überhaupt, ein Leben nach Gesetz und Ordnung? Aber in einem Alter wie in seinem denkt selbst der härteste Drogenboss schon mal über den Sinn des Ganzen nach. Noch einmal straffällig werden darf er nicht. Das weiß er. Sonst müsste er für den Rest seines Lebens in den Knast.
Vielleicht schwindet mit zunehmenden Jahren seine Lust auf Abenteuer, Gesetze zu brechen und das ganz große Ding zu drehen. Und vielleicht hat jener chinesische Astrologe Recht, der dem „Schneekönig“ ein angenehmes Ende in warmen Gefilden vorausgesagt hat. Er würde, glaubt Miehling fest, eines Tages unter Palmen sterben.