Vor rund 300 Jahren fand das erste Fest auf der zugefrorenen Alster statt
Von Edgar S. Hasse
Offizielle Seite der Stadt Hamburg: http://www.hamburg.de/alstereis/
An diesem Wochenende (10. bis 12. Februar 2012) wird ganz Deutschland die Hanseaten beneiden. Das große, fröhliche Winterfest heißt nicht Karneval, sondern Alstereisvergnügen. Hamburg ergreift an diesem Wochenende Besitz von der 164 Hektar großen Außenalster. Und das nicht, wie im Sommer, in Jollen, Ruderbooten oder Alsterdampfern.
Es ist der klirrende Frost, der die Hanseaten wundersam vereint übers Wasser gehen lässt. Alle werden sie etwas erleben, was im kollektiven Gedächtnis bewahrt ist, aber Seltenheitswert hat. Denn dass die Außenalster so zufriert, um sie relativ gefahrlos zu betreten, ereignet sich nur sporadisch. Vor gut 300 Jahren, so belegen es die Annalen, vergnügten sich erstmals die Hamburger auf dem künstlichen See, der erst durch das Aufstauen der Alster im 12. Jahrhundert unter der Regentschaft von Graf Adolf III. entstanden ist.
Von Anfang an war der Besuch auf dem Eis eine höchst heikle Angelegenheit. Am Epiphaniastag 1698 brachen während eines Friedensfeuerwerks drei Frauen und zwei Kinder ein – und ertranken. Welche gemischten Gefühle das winterliche Treiben auf der Außenalster auslösen kann, beschrieb ein Journalist der „Poetischen Neuigkeiten“ im Jahr 1748 so: „Will jemand Kluge unter Thoren und Männer unter Kindern sehen, der darf nur nach der Alster gehen, da wird aus bloßer Lust gefroren!“
Mit zunehmender Industrialisierung zog es alles auf das Wasser, was damals als modern galt. Jahr 1733 war es ein Karussell, dessen Schlitten von Pferden gezogen wurde. Später folgten bengalisches Feuer und maskierte Schlittschuhläufer wie im Jahr 1862 und Drehorgeln in der Weimarer Republik. In den beiden Weltkriegen fand kein Alstervergnügen statt. Dafür ließen die Nazis im Kriegswinter 1941 auf der gefrorenen Außenalster einen Tannenwald aufstellen, um die britischen und amerikanischen Flieger zu irritieren.Es dauerte noch bis zum Jahrhundertwinter 1979, bis das erste Alstervergnügen nach dem Zweiten Weltkrieg stattfinden konnte.
Damals versank der ganze Norden im Schnee. Das Fest wurde in den Folgejahren immer mehr zu einem modernen Event – mit Live-Übertragungen vom Norddeutschen Rundfunk, Bühnen und vielen Buden. Häufig stellte sich auch Prominenz ein, wie im Jahr 1985, als sich Schlagersänger Tony Marshall („Das werden wir alles überleben“) mit dem Schlitten über das Eis ziehen ließ.
Seit den 1980er-Jahren kletterten die Besucherzahlen kontinuierlich nach oben. Beim vorerst letzten Fest vor 15 Jahren waren es mehr als eine Million Menschen. Diesmal werden nach Prognosen der Tourismus GmbH noch mehr Gäste erwartet.
Bevor allerdings die große Party steigen kann, hat die Behördenregie seit Jahren eigene Rituale gesetzt. Kein Volksfest hat dieses Präludium, diese vorherige Mischung aus amtlichen Messungen, Abwarten und Abwägen, Wetterprognosen und Geheimniskrämerei. Bis Petrus und diesmal Jutta Blankau, die Umweltsenatorin, am Mittwoch die Aufführung dieses Spektakels verfügten. Nachdem die Dicke des amtlichen Außenalstereises diagnostiziert wurde und an 33 Stellen zwischen 15 bis 22 Zentimeter betrug, gab es das lang ersehnte grüne Licht. Noch aber fehlt, wie in Bremen, ein geflügeltes Wort, das prägnant diese Situation formulierend begleiten könnte. In Bremen fragt man sich bei der Eiswette wenigstens, ob die Weser „geiht oder steiht“. Aber in Hamburg?“Es freut mich sehr, dass das Alstervergnügen am Wochenende stattfinden kann“, heißt es unterkühlt bei Senatorin Blankau. Zugleich ist aus der Behörde zu erfahren, dass die Sicherheitsstandards erneut nach oben geschraubt wurden.
Reichten in den 1990er-Jahren noch 15 Zentimeter Alstereis, so gelten inzwischen 20 Zentimeter als Voraussetzung. Auch haben die Behörden jetzt erstmals entschieden, keine Buden mehr auf dem Eis zu erlauben. Beim letzten Fest im Jahr 1997 lockten insgesamt 150 Buden auf der Eisfläche zum Verweilen, diesmal sind Stände verboten. Stattdessen dürfen sie lediglich am Ufer aufgebaut werden.
Der Grund dafür sind die Erfahrungen vom 6. Januar 1996. Damals bekam das Eis in der Nähe des Anlegers Alte Rabenstraße plötzlich Risse. Mehr als 100 000 Menschen befanden sich auf der Fläche, doch sie konnten die Warnungen aus den Lautsprechern eines Polizeihubschraubers nicht hören, weil starker Wind herrschte. Zum Glück passierte damals nichts.Von diesem Freitag an werden nun Hunderttausende das hanseatische Wintermärchen genießen. Und jenes seltsame Gefühl spüren, was es bedeutet, sich auf dickem Eis zu bewegen. Diese kollektive Abhängigkeit von gefrorenem Alsterwasser mag etwas Archaisches bedeuten. In einer Zeit, in der vieles technisch machbar erscheint, verlässt sich Mensch ganz auf die Kraft der Natur.